Spricht die Subalterne deutsch?

Spricht die Subalterne deutsch?

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783897714250
Untertitel:
Migration und postkoloniale Kritik
Genre:
Soziologie-Lexika
Herausgeber:
Unrast Verlag
Auflage:
2., Aufl.
Anzahl Seiten:
296
Erscheinungsdatum:
2003
ISBN:
978-3-89771-425-0

Lässt sich die Debatte um postkoloniale Kritik auf den deutschen Kontext anwenden oder ist sie schlicht irrelevant?
Diese Frage wird im vorliegenden Band durchaus uneinheitlich beantwortet. Neben Texten, die versuchen, Konzepte postkolonialer Diskurse umzusetzen, finden sich auch Texte, die den Rahmen postkolonialer Theoriebildung teilweise oder insgesamt in Frage stellen und überschreiten. Insofern stellt dieser Band keine einheitliche Stellungnahme zur postkolonialen Theorie dar, sondern gibt einen Einblick in die Bandbreite der Diskussionen und Praxen um Postkolonialität im deutschsprachigen Kontext. Vor allem beleuchtet der Band aber die Auswirkungen, die postkoloniale Konzepte für das Verständnis und die Transformation der Realität von MigrantInnen und Angehörigen von Minderheiten im Post-Wiedervereinigungs-Deutschland haben - einer Realität, die durch die massive Zunahme rassistischer und antisemitischer Gewaltbereitschaft in einer postnationalsozialistischen Gesellschaft geprägt ist. Wie kann dieser Kontext mit den verschiedenen Konzepten des Baukastens postkolonialer Theorie verstanden werden? Inwieweit greifen diese Konzepte überhaupt? Inwieweit überschneiden, bzw. unterscheiden sich die Anwendungsgebiete dieser Konzepte von jenen der Post-Holocaust -Forschung?
Mit Beiträgen von Patricia Alleyne-Dettmers, Maria do Mar Castro Varela, Luzenir Caixeta, Nikita Dhawan, Fatima El Tayeb, Umut Erel, Grada Ferreira, Cathy S. Gelbin, Encarnación Gutiérrez Rodríguez, Anil K. Jain, Kien Nghi Ha, Annette Seidel-Arpaci, Hito Steyerl , Shirley Tate und Tanya Ury.

In den letzten zehn Jahren taucht in den Kultur- und Sozialwissenschaften zunehmend der Terminus Postkolonialität auf. Das Präfix Post verweist auf die gesellschaftliche Entwicklung nach der Kolonisierung hin, betont aber zugleich eine subtile Fortsetzung des kolonialen Erbes. Denn der Abzug zum Beispiel der britischen Kolonisatoren von Indien, so Despehs Chakrabarty, hätte keine institutionellen Veränderungen mit sich geführt. Politische Institutionen und das Bildungssystem hätten weiterhin nach dem Prinzip der Kolonialisierung gearbeitet. Für die Intellektuellen Indiens hätte dies bedeutet, eine Ausbildung genossen zu haben, die sprachlich und inhaltlich auf das Wissen der Kolonisatoren hin ausgerichtet gewesen sei. Post-Kolonialität umschreibt demnach, wie Edward Said betont, die Setzung von zwei scheinbar unsichtbaren imperialen Autoritäten, der des Wissens und der Macht. Für Ruth Frankenberg und Lata Mani beschreibt der Begriff der Postkolonialität eine Standortbestimmung. Postkolonialität bezeichnet für sie in Anlehnung an Antonio Gramsci und Louis Althusser, eine conjuncture, einen Kreuzungspunkt, an dem sich heterogene soziale Ungleichheitslagen auf der Folie postkolonialer Verhältnisse, überlagern (Frankenberg/Mani 1995, S. 292) Die Debatten um die Spuren des Kolonialismus im Werden und Machen von Welt und der Ausformung des heutigen Rassismus im Norden scheinen sich im deutschsprachigen Kontext an zwei verschiedenen Orten zu ereignen. Während die akademische und kritisch-künstlerische, politische Öffentlichkeit Postkolonialität als britischen oder US-amerikanischen Import rezipiert, kommt es bei feministischen Theoretikerinnen mit Diaspora-, Exil- und Migrationshintergrund zu einer eigenen Verarbeitung und Weiterentwicklung postkolonialer Kritik und kultureller Produktionen (Hügel 1993, Steyerl, Gelbin/Konuk/Piesche 1999). Insbesondere Schwarze deutsche Feministinnen haben bereits Mitte der 80er Jahre auf die koloniale Beschaffenheit der Bundesrepublik hingewiesen (vgl. Oguntoye u.a. 1986). In diesem Kontext bewegen sich auch die hier gesammelten Beiträge zu Gesellschaftstheorie und postkolonialer Kritik. Wir möchten mit diesem Sammelband zeitgenössiche Diagnosen und Kritiken vorstellen, die die Verhältnisse auf dem Hintergrund der kolonialen Geschichte Europas und der aktuellen Migratrionsregimen diskutieren. Hierfür wurden Beiträge zu den Themenfeldern Migration, soziale Ungleichheit, Bildungspolitik, Gouvernementalität, Queer Theorie und Repräsentationspolitiken gesammelt. Absicht ist es, eine kritische Perspektive auf Entwicklungen und Folgen einer neoliberaler Politiken im Zeichen von Ethnizität, Geschlecht, Sexualität und Race zu werfen. Die Autorinnen Hito Steyerl (Hochschule der Künste, Berlin. Autorin der jour fixe initiative), Dr. Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Institut für Soziologie, Universität Hamburg), Kien Nghi Ha (Politologe, Berlin. Autor von Ethnizitaet und Migration, 1999), Fatima el Tayeb (Historikerin, Amsterdam), Cathy Gelbin (Germanistin, University of Manchester), Tanya Ury (Künstlerin,Köln) Shirley Tate (Institut für Soziologie, Universität Lancaster), Anil K. Jain (Soziologe, München), Erdal Kaynar (Berlin), Sedef Gümen (Fachbereich Sozialwissenschaften, Universität Hildesheim), Maria do Mar Castro Varela und Maria do Mar Castro Varela (Professorin für Queer und Gender Studies an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin), Nikita Dhawan (Professur für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Gender/Postkoloniale Studien an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main), Patricia T. Alleyne-Dettmers (Kulturanthropologin, Institut für Soziologie, Universität Hamburg), Luzenir Caixeta Grada Kilomba

Inhalt
Zu den einzelnen Beiträgen: Encarnación Gutiérrez Rodríguez: Postkoloniale Kritik und Repräsentation im deutschen Kontext In diesem Vortrag geht es darum, feministische Theorie und Postkoloniale Kritik in ein Verhaeltnis zu setzen. Feministische Konzeptionen von Subjektivitaet und der Konstruktion von Differenz koennen anhand ihrer eigenen Ausschlussmuster sowie anhand der Diversitaet ethnisierter Subjektpositionen entwickelt werden. Diese Ansaetze werden jedoch marginalisiert. Dies ist ein Effekt des geopolitischen Kontextes der Wissensproduktion. Gender kann daher nicht ohne eine geographische und politische Dimension gedacht werden. Hito Steyerl: Can the Subaltern speak German? Postkoloniale Kritik im deutschen Kontext. Der Titel dieses Vortrags bezieht sich explizit auf einen sehr bekannten Text, naemlich den Text "Can the Subaltern speak?" von Gayatri Chakravorty Spivak. In diesem Text geht es darum, wie epistemische Gewalt von Diskursen das koloniale Subjekt als "Anderes" konstituiert. Daraus ergibt sich eine Hierarchie der Wissensproduktion, die bestimmte Formen von Wissen disqualifiziert, mundtot macht und dominante Formen von Wissen reproduziert. Dieser Vorgang der Ausblendung wird mit der Formel: "The subaltern can not speak" bezeichnet, denn "selbst wenn er/sie mit aller Kraft und Gewalt versucht zu sprechen kann sie sich nicht verstaendlich machen." Es ist also nicht das Sprechen der Subalternen, das verhindert werden kann, sondern hauptsaechlich dessen Rezeption. Meine Frage: "Can the Subaltern speak German?" richtet sich auf ein spezifisches Phaenomen. Wie ist die Rezeption, aber auch die Produktion spezifischer postkolonialer Theorie im deutschen Kontext beschaffen? Postkoloniale Kritik bezeichnet zwar laut Ruth Frankenberg und Lata Mani, eine spezifische "conjuncture" gesellschaftlicher Kraftfelder, das heisst ein spezifisch situiertes Machtverhaeltnis. Dennoch wird davon ausgegangen, dass dieses Machtverhaeltnis in Deutschland nicht existiere oder irrelevant sei. In der deutschsprachigen Rezeption reproduziert sich somit exakt jenes Phaenomen der Hierarchisierung von Wissensproduktionen, das von Spivak beschrieben wurde. Die Stelle der Subalternen wird dabei von verschiedenen Minderheiten besetzt, etwa "Gastarbeitern" oder Migranten, die sozusagen innerhalb des Diskursfeldes "postkoloniale Theorie" als Subalterne ausgeblendet oder abgewertet werden. Es ist, analog zu Spivaks Beispiel nicht etwa so, dass sie sich nicht artikulieren, aber die diskursiven Bedingungen fuer die Rezeption dieser Artikulationen werfen die Fr…


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