Sticken und beten

Sticken und beten

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783034013147
Untertitel:
Die Textildynastie Jacob Rohner: Familie, Firma, Klerus (18731988)
Genre:
Kulturgeschichte
Autor:
Jolanda Spirig
Herausgeber:
Chronos
Anzahl Seiten:
280
Erscheinungsdatum:
01.10.2015
ISBN:
978-3-0340-1314-7

Dieses Buch ist weit mehr als eine wechselvolle Firmengeschichte: Streng gehutete Tagebucher, Briefe und Familienfotos gewähren intime Einblicke ins Leben und Wirken der Stickereidynastie Jacob Rohner. Die Autorin schildert das katholische Milieu, die Überwachung der Arbeiterinnen in den «Mädchenheimen», die Einflusse der Jesuiten und der Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Die Leitlinien des päpstlichen Eliteordens dienten den Fabrikantenfamilien Rohner und Geser als Richtschnur. Um die Firmennachfolge zu optimieren und den konservativen, katholischen Geist zu bewahren, wurden Ehen arrangiert und unbotmässige Nachkommen ausgeschaltet. Die Jacob Rohner AG uberwand beide Weltkriege, stand die Stickereikrisen durch und galt 1962 als grösstes Stickereiunternehmen des Landes. «Sticken und Beten» macht die Turbulenzen der Stickereiindustrie sichtbar, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Schweizer Exporte anfuhrte und den Ostschweizer Alltag uber Jahrzehnte prägte. Die Parallelen zur heutigen Zeit verbluffen: vom ersten Börsencrash uber den starken Franken der Dreissigerjahre und vom gefährdeten Werkplatz Schweiz bis hin zum verfolgten Dusseldorfer Banker, der sich in der Rebsteiner Villa Jung-Rhein versteckt hielt. 1988 ging die katholische Traditionsfirma mit Stickereiwerken, Sockenfabrik und Weberei an den freisinnigen Konkurrenten Forster Willi, die heutige Forster Rohner Gruppe. Die Rheintaler Standorte wurden geschlossen. Die Rohner-Socken haben uberlebt. Ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schildern den Wandel.

Autorentext
Jolanda Spirig war Übersetzerin und Redaktorin. Heute führt sie eine Agentur für Öffentlichkeitsarbeit in Marbach SG. Ihre Biografien 'Fani. Ein Dienstmädchenleben' und 'Kaffee mit Muttermilch' sind 1995 und 1998 erschienen, die Geschichte der Frauenzentrale Appenzell Ausserrhoden, 'Von Bubenhosen und Bildungsgutscheinen', 2004 und 'Widerspenstig. Zur Sterilisation gedrängt' im Jahr 2006. 'Wer sie gelesen hat, weiss es. Jolanda Spirigs Bücher gehen unter die Haut. [] Sie schaffen Identifikationsnähe mit Menschen, die so ganz anders leben mussten und müssen als man sich dies je auszudenken vermag. [] Jolanda Spirig beschreibt das Leben. Von daher ist sie Journalistin, die mit ihren Werken aber längst im Kreise der Schriftstellerinnen angekommen ist. [] Jolanda Spirig hat eine prägnante, verständliche Sprache. Kurze Sätze, keine Floskeln, präzise Worte. Spannend in ihren Büchern, wie sie ihren Protagonistinnen die eigene Sprache zugesteht.' Kathrin Hilber anlässlich der Kulturpreisverleihung 'Goldiga Törgga' 2012

Leseprobe
Erster Weltkrieg Während zahlreiche Fabriken und Handelshäuser ihre Tore schliessen, wissen nicht wenige Stickereifabrikanten den Ersten Weltkrieg geschickt für ihre Zwecke zu nutzen. Auf den Schlachtfeldern schnellt die Zahl der Verwundeten in die Höhe, das Verbandsmaterial wird knapp. Französische Schülerinnen reissen alte Bettlaken auseinander, um aus den Leinen- und Baumwollfetzen Verbandszeug für die Soldaten herzustellen. Das Vereinte Königreich, Frankreich und Russland verbieten 1917 den Export von Baumwolleprodukten an Deutschland. Nicht so die Ausfuhr von Stickereien. Und so wendet sich auch Jacob Rohner dieser ertragreichen Nische zu. Er lässt Baumwollstoffe in breiten Abständen mit kleinen Punkten besticken. Die Arbeiterinnen, die bei dieser rudimentären Stickerei weder etwas zu kontrollieren noch nachzusticken haben, werden alle in die Ferggerei beordert, um die Fäden zwischen den gestickten Punkten zu kappen. Den Heimstickerfamilien bringen die Kriegsaufträge Arbeitstage von 16 bis 18 Stunden, den Exportfirmen beschert das bestickte Verbandsmaterial enorme Gewinne. Als die Entente den lukrativen Handel unterbindet, herrscht erneut Krisenstimmung, doch die Gewinne sind gemacht. General Guisan In der Villa Tanner macht schon bald General Guisan seine freundliche Aufwartung. Die Verabschiedung ist fotografisch festgehalten. Während er in der Linken seine Zigarre hält, schüttelt er mit der Rechten die Hände von gewichtigen Männern in dunklen Anzügen. Sein Stab hält sich im Hintergrund, beim Eingang steht ein Diener im weissen Jackett. Die Prinzipalin ist auf den Bildern nicht zu sehen, dafür verfolgt ihre Enkelin Sissy, ein blonder Zopf nach hinten, den anderen keck nach vorne gelegt, die prominente Verabschiedung. Ihre deutschen Verwandten leisten Dienst in der Wehrmacht, der Generalstab weiss Bescheid. Noch spazieren Hedwig Gesers uniformierten Brüder gutgelaunt über den Feldweg in Niederhalberg. Auf der Wiese blühen die Margeriten. Der erste Schnitt ist noch nicht erfolgt. Vielleicht ist das Bild im Frühling 1940 aufgenommen worden, als die Deutschen die Niederlande, Belgien und Luxemburg angreifen und in der Schweiz die zweite Mobilmachung angeordnet wird. Am 14. Mai 1940 rechnen auch die Schweizer Militärbehörden mit dem Einmarsch der deutschen Truppen. Wer genug Geld hat, fährt mit dem Auto in die Berge. Auch die Gesers werden evakuiert. 80. Geburtstag Die Prinzipialin hat ein schwaches Herz, ihre Schmerzen therapiert sie in Montecatini Terme, ihr Hausarzt und der Spezialarzt in München haben ihr Ruhe verordnet. Sie fürchtet, ihren achtzigsten Geburtstag nicht mehr zu erleben und macht sich flugs ein Jahr älter, um ihr Jubiläum nicht zu verpassen. 'Gott will es' lautet der Leitspruch, mit dem die Grabesritter ihr Handeln zu legitimieren pflegen. Die Inhaberin der Jacob Rohner AG, Dame vom Heiligen Grab zu Jerusalem, setzt diesem Herrgott, der sie sechs Wochen vor ihrem runden Geburtstag heimholen wird, ihren eigenen starken Willen entgegen: Sie feiert ihren Achtzigsten an ihrem neunundsiebzigsten Geburtstag, und zwar am 3. Mai 1960. Blumen und Gestecke füllen ihr Büro aus. Eine grosse, goldene Achtzig ziert ein baumartiges Blumenarrangement mit Orchideen. Selbst auf der Haselnusstorte sitzt die Jubiläumszahl. Die Jubilarin lässt sich mit ihren Lieblingsblumen, einem knallgelben Teerosenstrauss, fotografieren, die Royal Dutch Airlines KLM hat gelbe Nelken geschickt und die Sockenabteilung rote Rosen.

Inhalt
Die Villa Tanner Die Rohner Die Geser Die Manser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Nachwort Glossar Die Inhaberfamilien der Jacob Rohner AG


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