Deutsche Historikerinnen 1920-1970

Deutsche Historikerinnen 1920-1970

Einband:
Paperback
EAN:
9783593384436
Untertitel:
Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik
Genre:
20. Jahrhundert (bis 1945)
Autor:
Heike Anke Berger
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
1. Auflage
Anzahl Seiten:
350
Erscheinungsdatum:
30.11.2007
ISBN:
978-3-593-38443-6

Geschichte und Geschlechter Herausgegeben von Claudia Opitz-Belakhal, Angelika Schaser und Beate Wagner-Hasel

Das Thema Geschichtswissenschaft und Nationalsozialismus hat in den vergangenen Jahren breites Interesse geweckt. Dabei blieben Frauen in der Zunft jedoch in der Regel außer Acht. Heike Anke Berger führt in ihrer Studie Historiographie- und Geschlechtergeschichte zusammen: Am Beispiel von fünf Osteuropahistorikerinnen untersucht sie das Spannungsverhältnis von Wissenschaft, Politik und Geschlecht vom Ende der Weimarer Republik über das nationalsozialistische Regime bis in die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik. Sie zeigt unter anderem, dass der Ausschluss von Frauen aus einflussreichen Positionen nicht nur das Ergebnis gezielter NS-Wissenschaftspolitik war. Ebenso entscheidend waren geschlechtsspezifische Ausschlussmechanismen in den Reihen der aktiven Historiker selbst, und zwar quer durch die politischen Systeme.

Autorentext
Heike Anke Berger, Dr. phil., Historikerin, promovierte an der Universität Bielefeld.

Leseprobe
Das erste Kapitel zeigte zunächst, dass sich die meisten Historikerinnen im Zeitraum von 1920-1970 in zwei Fachbereichen der Geschichtswissenschaft habilitierten, die während des "Dritten Reichs" institutionell und personell am stärksten expandierten: die Prähistorie und die Osteuropäische Geschichte. Die sich anschließende Untersuchung der wissenschaftlichen Laufbahnen von Osteuropahistorikerinnen zeigte erstens, dass die Wissenschaftlerinnen sowohl in der Eigen- wie auch in der Fremdwahrnehmung nur in relationalem Bezug zu männlichen Forschern, und zwar als Schülerinnen, Ehefrauen und Töchter, gedacht wurden. Zweitens wurde deutlich gemacht, dass die politische Zäsur von 1933 Habilitationspläne zwar durchaus zunichte machte, dass aber aufgrund der späteren Lockerungen der rigiden Reichshabilitationsordnung keineswegs grundsätzlich von einem Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft im Nationalsozialismus gesprochen werden kann. Schließlich ergab die Frage nach einer geschlechtersegregierenden Arbeitsteilung, dass der Aufbau von Seminarbibliotheken, das Erstellen von Bibliographien und die Schriftleitung in Fachzeitschriften zu den häufigsten von Historikerinnen ausgeübten Tätigkeiten zählten. Das zweite Kapitel lieferte den Beweis, dass Wissenschaftlerinnen im Nationalsozialismus auf vielfältige Weise in der außeruniversitären Osteuropaforschung eingebunden waren. Es kristallisierte sich das auf den ersten Blick paradoxe Ergebnis heraus, dass Frauen trotz ihrer Exklusion von universitären Dozentenstellen durch den Ausbau spezifischer außeruniversitärer Forschungskontexte von der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik zunächst durchaus profitieren konnten. Das in diesem Kontext verwendete Ressourcenmodell von Mitchell G. Ash erwies sich bei der Analyse zwar als hilfreicher Ansatz für die Auslotung des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik einerseits, und zur Erklärung wissenschaftlicher Wandlungsprozesse andererseits, stieß aber insofern schnell an seine Grenzen, als es die Kategorie Geschlecht nicht berücksichtigt. Je stärker sich allerdings Wissenschaft und Politik, etwa durch den gemeinsamen Zugriff auf denselben Mitarbeiterkreis, annäherten und sich somit der Aktionsraum wissenschaftlicher Tätigkeit potentiell vergrößerte, desto entschiedener wurde der Handlungsspielraum von Historikerinnen und Historikern über Geschlecht und Vorstellungen von Männlichkeit wieder begrenzt. Dies wurde am Beispiel der Personalpolitik innerhalb der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft und der ihr zugehörigen Publikationsstelle für den Zeitraum seit Beginn des Zweiten Weltkrieges und stärker noch seit dem Angriff auf die Sowjetunion herausgearbeitet: So hielten es Wissenschaftler angesichts des allzu forschen Auftretens einer Person wie Herta von Ramm-Helmsing für nötig, sich untereinander ihrer "männlichen Ehre" zu vergewissern, bevor sie erklärten, dass die Historikerin innerhalb der Osteuropaforschung "nichts zu bestimmen" hätte, und auf eine Beförderung konnten sowohl Hildegard Schaeder als auch ihre Kollegen nur hoffen, wenn sie den männlich codierten Entwurf des "Wissenschaftlers an der Front" überzeugend verkörperten. Das dritte Kapitel zeichnete anhand von autobiographischen und geschichtswissenschaftlichen Texten nach, auf welche Weise die Untersuchungspersonen das nationalsozialistische Regime, die rassistischen Verbrechen und den Krieg in Osteuropa sowohl vor als auch nach 1945 wahrnahmen und verarbeiteten. Umfangreiche Ego-Dokumente erlaubten es, in einem mentalitätengeschichtlichen Zugriff zu zeigen, dass widerständiges Handeln und wissenschaftliches Arbeiten in einer regimenahen Forschungsinstitution während des Nationalsozialismus im Selbstentwurf der historischen Akteurinnen durchaus sinnvoll miteinander verbunden werden konnten. Zum anderen ließ sich die beharrliche Deutungsmacht sozialhierarchisierender und antisemitischer Interpretationsmuster herausarbeiten, mit denen sich eine protestantische Akademikerin und tiefgläubige Inhaftierte des Konzentrationslagers ihre soziale Wirklichkeit erschloss. Mit Blick auf die Zeit nach 1945 ist als Ergebnis festzuhalten, dass sich die fokussierten Historikerinnen mittels ihrer spezifischen Erfahrung des "Dritten Reichs" als Instanzen der Vermittlung zwischen West und Ost inszenierten und sich in öffentlichen Debatten über die moralische Erziehung der bundesdeutschen Bevölkerung oder eine "Revision" des Geschichtsbildes zu Wort meldeten. Schließlich machte die Analyse geschichtswissenschaftlicher Texte ersichtlich, dass sich nur wenig an der jeweiligen individuellen Konzeption von Geschichte und der Bandbreite historischer Erklärungsmodelle änderte. Das vierte Kapitel verdeutlichte die Instabilität innerhalb des Beziehungsgeflechts Wissenschaft, Geschlecht und Politik. Frauen wurde es innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft im Gegensatz zu ihren Kollegen nicht "verziehen", wenn sie sich zu weit ins Politische vorgewagt hatten. Die inhärent männliche Codierung "des Historikers", wie sie Bonnie G. Smith durch die Korrelation zwischen Geschichtswissenschaft und Politik aufgezeigt hat, konnte auf diese Weise detailliert herausgearbeitet werden. So kehrte die einzige Untersuchungsperson, die als habilitierte Historikerin eine Dozentenstelle im Nationalsozialismus besetzt hatte, nach 1945 nicht wieder in die universitäre Forschung zurück. Ein weiteres Resultat dieses Teilabschnittes bestand unter Rückbezug auf Lorraine Dastons Überlegungen zur wissenschaftlichen Person im 18. und 19. Jahrhundert in der Erkenntnis, dass es für die Frauen im Untersuchungszeitraum nicht mehr die fehlende Anerkennung als Wissenschaftlerin war, mit der sie zu kämpfen hatten. Nicht die Berufung zur Wissenschaft, sondern Wissenschaft als Beruf und die Sicherung der Altersversorgung waren die drängenden Probleme. Die im Rahmen der gesetzlich geregelten Entschädigungs- und Wiedergutmachungspraxis von den untersuchten Historikerinnen entwickelten Strategien, ein hinreichendes Auskommen im hohen Lebensalter zu erzielen, waren aber wenig erfolgreich. Weder der Selbstentwurf als geflüchtete oder verfolgte noch die Eigendarstellung als politisch zwangsumgesiedelte Historikerin konnte die Tatsache wettmachen, dass man keine festen Anstellungsverhältnisse vorzuweisen hatte. In diesem Punkt war die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik für Frauen weitaus folgenreicher als für Männer, denn die Frauen konnten sich aufgrund fehlender früherer Anstellungen nicht wieder in den Wissenschaftsbetrieb der Bundesrepublik einklagen.

Inhalt
Einleitung 1. Untersuchungsgegenstand und Erkenntnisinteressen 2. Begriffsbestimmung und methodische Zugänge a. Wissenschaft, Geschlecht und Politik b. Geschichte schreiben in Biographien c. Wissenschaftliche Laufbahn…


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