Untertitel:
Eine Geschichte des Volkstrauertags
Genre:
Zeitgeschichte (1946 bis 1989)
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Erscheinungsdatum:
30.09.2010
Campus Historische Studien
Durch die Auslandseinsätze der Bundeswehr sind der Soldatentod und das Gedenken daran wieder in der Diskussion. Damit gewinnt auch der Volkstrauertag neue Aktualität. Erstmals stellt Alexandra Kaiser hier die Geschichte dieses Tages umfassend dar: Eingeführt wurde er vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge 1922 als Gedenktag für die im Ersten Weltkrieg gestorbenen Soldaten. Seither wandelten sich seine Inszenierungen und Bedeutungen parallel zum Wechsel der politischen Systeme. Im Nationalsozialismus wurde er zum "Heldengedenktag", in der Bundesrepublik zum "Gedenktag für alle Opfer von Krieg und Gewalt". So erweist sich der Volkstrauertag als Brennspiegel der deutschen Erinnerungskultur im 20. und 21. Jahrhundert.
Autorentext
Alexandra Kaiser, Dr. rer. soc., ist wissenschaftliche Volontärin im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Klappentext
Durch die Auslandseinsätze der Bundeswehr ist der Soldatentod wieder in der Diskussion. Erstmals stellt Alexandra Kaiser hier die Geschichte des Volkstrauertages dar, der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge 1922 als Gedenktag für die im Ersten Weltkrieg gestorbenen Soldaten eingeführt wurde. Im Nationalsozialismus wurde er zum "Heldengedenktag ", in der Bundesrepublik zum "Gedenktag für alle Opfer von Krieg und Gewalt". Der Volkstrauertag mit seinen sich wandelnden Inszenierungen und Bedeutungen erweist sich als Brennspiegel der deutschen Erinnerungskultur im 20. und 21. Jahrhundert.
Leseprobe
I. Einleitung In Spiegel-Online vom 19. November 2006 war zu lesen: "Der Volkstrauertag drohte in den vergangenen Jahren zur Routineveranstaltung zu werden. In diesem Jahr wurde er mit aktuellen Bezügen begangen. Erstmals gedachten der Bundespräsident und die Kanzlerin auch der in den Auslandseinsätzen getöteten Bundeswehr-Soldaten." Mit dem Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan ist der Soldatentod in den letzten Jahren in Deutschland auf eine neue Art und Weise ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Wöchentlich, manchmal täglich, wird in den Medien über Selbstmordanschläge, Attentate und über verletzte oder - immer öfter - auch über getötete deutsche Soldaten berichtet. Für die Bundesregierung ist durch diese Verluste eine historisch neue Situation entstanden; zum ersten Mal muss die Regierung Soldaten ehren, die sie zuvor selbst in den Krieg geschickt hat. Man sucht staatlicherseits nach Gedenkformen und öffentlichen Umgangsweisen, um dieser "Herausforderung" zu begegnen: Politiker sprechen wieder wie selbstverständlich von "Gefallenen"; auch das Wort "Krieg" ist nicht mehr tabu. 2008 wurde ein neues "Ehrenkreuz für Tapferkeit" gestiftet. Seit September 2009 steht am Sitz des Bundesverteidigungsministeriums im Berliner Bendlerblock das neue Bundeswehrehrenmal. Auch auf den Volkstrauertag griff man zur Sinnstiftung der jüngsten Todesfälle deutscher Soldaten im Ausland zurück. Gleichzeitig wurde durch die Aufnahme der Bundeswehrsoldaten in das jährlich gesprochene Totengedenken ein neues Kapitel in der inzwischen bald 90-jährigen Geschichte des Gedenktags aufgeschlagen. Jürgen Danyel hat den Volkstrauertag als einen besonders geeigneten "Pfad für die Analyse der Akzentverschiebungen in der westdeutschen Erinnerungskultur" bezeichnet. Diese These lässt sich jedoch noch ausweiten, denn der Volkstrauertag ist nicht allein Spiegel der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur. Als ein in der Weimarer Republik eingeführter Kriegstotengedenktag, der die Erfahrungen des Ersten und des Zweiten Weltkriegs bindet, verkörpert er vielmehr einen entscheidenden Kristallisations- und Knotenpunkt der kollektiven Erinnerung in Deutschland im 20. Jahrhundert überhaupt. Der Gedenktag hat die zentralen politischen Einschnitte der Jahre 1933, 1945 und 1989 überdauert. Keine andere Form des politischen Totenkults erwies sich im 20. Jahrhundert hierzulande als ähnlich stabil wie der Volkstrauertag. Eine Untersuchung des Gedenktags gibt Aufschluss über die Verarbeitung der kollektiven Traumata des Ersten und des Zweiten Weltkriegs in Deutschland. Am Volkstrauertag entlang lassen sich wesentliche Grundzüge des öffentlichen Umgangs mit Krieg und Massensterben im 20. Jahrhundert und bis ins 21. Jahrhundert hinein nachzeichnen. Am 5. März 1922 lud der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK), der sich im Herbst 1919 als privater Verein gegründet hatte, unter der Bezeichnung "Volkstrauertag" erstmals zu einer Gedenkstunde für die im Ersten Weltkrieg gestorbenen Soldaten in den Berliner Reichstag ein. Ab 1924 wurde der Gedenktag dann jährlich in der Passionszeit begangen. Parallel zu den vom Bundesvorstand veranstalteten zentralen Feierstunden organisierten Ortsgruppen des Vereins in Städten, Gemeinden und Dörfern überall in Deutschland Gedenkfeiern. 1934 wurde der Volkstrauertag zum "Heldengedenktag" transformiert und zum staatlichen Feiertag erklärt; die Verantwortung für die Gestaltung ging an das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda über. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es erneut der Volksbund, der die Tradition des Volkstrauertags wieder aufleben ließ. Seit 1952 wird der Gedenktag in der Bundesrepublik jedes Jahr im November, zwei Sonntage vor dem ersten Advent und eine Woche vor dem evangelischen Totensonntag, begangen. In der DDR gab es keinen Volkstrauertag; nach der Wiedervereinigung führten den Volkstrauertag dann auch die neuen Bundesländer ein. Heute ist der Gedenktag in allen Bundesländern durch Feiertagsgesetze geschützt. Um einen nationalen Gedenktag im juristischen Sinne handelt es sich dennoch nicht, obwohl der Volkstrauertag de facto eine ähnliche Funktion besitzt. Sein Hauptträger ist bis heute der Volksbund; er ist es, der die Mitglieder des Bundestags und die Spitzen des Staates zu seiner zentralen Gedenkstunde einlädt, die seit 1999 (wieder) im Berliner Reichstag stattfindet. Parallel zu den Gedenkveranstaltungen auf Bundes- und Länderebene finden bis heute in zahlreichen Gemeinden Gedenkfeiern und Kranzniederlegungen auf den Friedhöfen und an lokalen Ehrenmalen statt. In der Institutionalisierung des Volkstrauertags sowohl auf einer nationalen wie auch auf der kommunalen Ebene deuten sich unterschiedlich gelagerte Funktionen des Gedenktags an. Denn einerseits hatte der Volkstrauertag die Aufgabe, den Tod der Soldaten politisch-national zu deuten und damit "sinnvoll" zu machen. Andererseits sollte er den Überlebenden Trost spenden. In dieser Studie steht die Frage, inwiefern der Volkstrauertag zur Kompensierung des Schmerzes der Hinterbliebenen beitrug, allerdings nicht im Vordergrund. Hingegen interessiert mehr, wie individuelle Trauer im öffentlichen Gedenkritual kanalisiert, modelliert und in "Volkstrauer" transformiert wurde, wie also privater Schmerz in "stolze Trauer" (Utz Jeggle) verwandelt wird, die dann für politische Zwecke ge- und mißbraucht werden kann. Bei der Frage nach den Funktionen des Volkstrauertags geht es also auch um die Konstruktion und Tradierung kollektiver Emotionen im Dienste der Nation.
Inhalt
Inhalt I. Einleitung 9 II. Kriegstotengedenken in der Weimarer Republik 24 1. Gefallenengedenken nach Plänen von Reichskunstwart Edwin Redslob 27 2. Die Gedenkfeier der Regierung am 3. August 1924 31 III.Die Einführung des Volkstrauertags 43 1. Die Gründung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge 45 2. Der gescheiterte Reichstrauertag am 6. März 1921 49 3. Die Aktivitäten der Münchner Ortsgruppe des Volksbundes 52 4. Grundlinien des zukünftigen Trauertages 54 5. Die revanchistische Sinngebung des Volkstrauertags 58 6. Die Symbolik des Termins 63 7. Heldenehrungen im Reichstag: Die zentralen Feierstunden des Volksbundes 74 8. Das Lied vom gut…
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