Wirtschaft als Wissenschaft

Wirtschaft als Wissenschaft

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593393155
Untertitel:
Die Volkswirtschaftslehre in der frühen Bundesrepublik
Genre:
Zeitgeschichte (1946 bis 1989)
Autor:
Jan-Otmar Hesse
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
1. Auflage
Anzahl Seiten:
462
Erscheinungsdatum:
04.10.2010
ISBN:
978-3-593-39315-5

Nach 1945 erlebte die deutsche Volkswirtschaftslehre eine tief greifende Transformation: Die ältere, stark historisch und soziologisch orientierte deutsche Nationalökonomie wurde nach dem Vorbild der Wirtschaftswissenschaft, wie sie in England und den USA gelehrt wurde, umgestaltet. Gleichzeitig verschmolz die Disziplin institutionell mit der Betriebswirtschaftslehre und löste die einst engen Verbindungen zu Soziologie und Rechtswissenschaften. Jan-Otmar Hesse zeigt, wie - unabhängig von Paradigmenstreit zwischen Keynesianismus und Monetarismus - in der Bundesrepublik eine mathematisch und axiomatisch argumentierende Wirtschaftstheorie entstand.

Nach 1945 erlebte die deutsche Volkswirtschaftslehre eine tiefgreifende Transformation: Die ältere, stark historisch und soziologisch orientierte deutsche Nationalökonomie wurde nach dem Vorbild der Wirtschaftswissenschaft, wie sie in England und den USA gelehrt wurde, umgestaltet. Gleichzeitig verschmolz die Disziplin institutionell mit der Betriebswirtschaftslehre und löste die einst engen Verbindungen zu Soziologie und Rechtswissenschaften. Jan-Otmar Hesse zeigt, wie - unabhängig vom Paradigmenstreit zwischen Keynesianismus und Monetarismus - in der Bundesrepublik eine mathematisch und axiomatisch argumentierende Wirtschaftstheorie entstand.

Rückständige Universitäten "Eine präzise, elegant geschriebene Studie." (Süddeutsche Zeitung, 15.01.2011)

Autorentext
Jan-Otmar Hesse ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth.

Leseprobe
Nachdem bislang die institutionellen Rahmenbedingungen der Volkswirtschaftslehre untersucht wurden (die Hochschulpolitik, der Strukturwandel der Fakultäten und des Studiums, die Bedeutungszunahme der außeruniversitären Wirtschaftsforschung und die amerikanischen Einflüsse), soll im Folgenden der Akteur selbst, die universitäre Volkswirtschaftslehre, im Mittelpunkt stehen. Wie in der Einleitung ausgeführt, besteht diese aus der Einheit von Personen, Institutionen und ihrer gepflegten Semantik, die sich gegenüber der wissenschaftlichen und sozialen Umwelt abschließen und hierdurch als eine Einheit konstituieren. Die hierbei maßgeblichen Personen sollen im Folgenden beschrieben werden. Hierzu gehören neben den Professoren der Volkswirtschaftslehre auch deren Assistenten und weitere Mitarbeiter, Verwaltungspersonal, Dozenten, Privatdozenten und Honorarprofessoren. Alle zusammen machten das aus, was zeitgenössisch gerne als "Lehrkörper" einer Fakultät bezeichnet wurde. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf eine Teilmenge dieses "Lehrkörpers", auf die Ordinarien. Bis in die sechziger Jahre waren die Ordinarien die dominierenden Personen innerhalb des universitären Machtgefüges. Nicht einmal Extraordinarien wohnten üblicherweise den Fakultätssitzungen bei. Für den gewählten Untersuchungszeitraum wird (allerdings mit einer gegen Ende hin abnehmenden Berechtigung) davon ausgegangen, dass den Ordinarien auch mehr oder weniger unwidersprochen die Definitionsmacht über das Fach zukam. Ist die Beschränkung auf die volkswirtschaftlichen Ordinarien akzeptiert, so stellt sich der Strukturwandel der Volkswirtschaftslehre unter diesem Aspekt schlicht als der generative, mentale und fundamentale Wandel einer Personengruppe dar. Dieser soll im Folgenden beschrieben werden. Hierbei ist zunächst das Augenmerk auf die besondere westdeutsche Konstellation in der ersten Nachkriegsdekade zu legen, die Frage der "Kontinuität" und des personellen Wandels über das Jahr 1945 auf die Volkswirtschaftslehre hin anzuwenden. In einem zweiten Schritt sollen dann sozialhistorische und wissenschaftsprosopografische Erkenntnisse über den generativen Wandel der Volkswirtschaftslehre im Untersuchungszeitraum vorgetragen werden. 4.1 "Wissen Sie, wen's in München erwischt hat?" - Wirtschaftswissenschaftliche Entnazifizierung Die ostdeutschen Dogmenhistoriker Werner Krause und Günther Rudolf fanden in einer Analyse des Verzeichnisses der Wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer, das 1938 erschienen war, 186 Personen, die Mitgliedschaften in NS-Organisationen angegeben hatten. Von diesen 186 Hochschullehrern waren in einem entsprechenden, in der Bundesrepublik 1959 publizierten Verzeichnis immerhin noch 52 Personen zu finden. Nun ist ein Generalverdacht gegen die 1938 lehrenden Ökonomen (darunter Professoren wie Erwin von Beckerath, Friedrich Lütge, Erich Preiser und Günter Schmölders) sicher abwegig und nicht nur, weil vom Kriterium der Parteimitgliedschaft eben nicht automatisch auf eine intellektuelle Affinität zum Nationalsozialismus geschlossen werden kann. Der Sachverhalt, die personelle Kontinuität nach 1945, ist freilich kaum zu bestreiten. Wie in den meisten anderen gesellschaftlichen Bereichen auch, in denen sich die Tätigkeiten durch eine sehr hohe Humankapitalspezifität auszeichnen (um es institutionenökonomisch auszudrücken), stammte ein großer Teil des Personals der Volkswirtschaftslehre in den ersten Nachkriegsjahren aus der Zeit des Nationalsozialismus oder der Weimarer Republik. Wie bei den anderen Bereichen vermag auch für die Wirtschaftswissenschaft dieser Befund kaum zu überraschen. Genauso wie bei den Unternehmern, den Juristen oder den Medizinern wäre es schlicht unmöglich gewesen, den kompletten Personalbestand binnen weniger Jahre auszutauschen. Die von den Alliierten mehr oder weniger streng durchgesetzte "Entnazifizierung" beschränkte sich daher langfristig gesehen darauf, die größten Verbrecher zu eliminieren, und in allen Bereichen kamen im Verlauf der fünfziger Jahre viele derjenigen wieder auf ihre Posten, die noch 1945 aus dem Amt gejagt worden waren. Das war bei den Ordinarien der Wirtschaftswissenschaft kaum anders und konnte auch nicht anders sein. Gänzlich unbelastete Ökonomen standen kaum zur Verfügung. So mussten die Fakultäten mit jenen Professoren den Wiederaufbau beginnen, die nicht unbelastet, aber jedenfalls für die Alliierten und die Universitäten akzeptabel waren. Hierdurch kamen einige zweifelhafte Ökonomen wieder in Amt und Würden, was im Zuge der 1968er-Bewegung öffentlich problematisiert wurde. Auf der anderen Seite hatten selbst solche Ökonomen in einigen Fällen um ihre berufliche und gesellschaftliche Anerkennung zu kämpfen, deren Kontakt zum Freiburger Kreis oder deren berufliche Rückstufungen während des Nationalsozialismus keinen Zweifel an ihrer demokratischen Gesinnung hätten lassen sollen. Schon angesichts der sehr unterschiedlichen Entnazifizierungspraxis in den einzelnen Besatzungszonen könnte nur eine lokale Untersuchung diesen Prozess historisch angemessen verständlich machen. Einige entsprechende Fallstudien liegen mittlerweile auch zur universitären Volkswirtschaftslehre vor. An dieser Stelle soll es allerdings um die Auslotung der Folgen der Entnazifizierungspolitik für die Volkswirtschaftslehre insgesamt gehen, was eine Pauschalisierung der je lokalen Vorgänge unausweichlich macht. Danach zeigte die Entnazifizierung einen überall ähnlichen, drei Phasen umfassenden Verlauf zwischen etwa 1945 und 1955. Nach der Beurlaubung oder Suspendierung der Lehrstuhlinhaber durch die Alliierten, welche bis etwa Mitte 1947 überall durchgeführt worden war, setzten die Fakultäten zum Wiederaufbau ihrer Lehre in einer ersten Phase zunächst alles daran, auf die frei gewordenen Lehrstühle möglichst international bekannte Ökonomen, am besten aus der Emigration, jedenfalls aber zweifelsfrei unbelastete Ökonomen zu gewinnen. Andere Berufungslisten wären bei den unter alliierter Aufsicht stehenden Kultusbehörden nicht durchsetzbar gewesen. Die Frankfurter Fakultät versuchte so 1947, den damals immerhin schon 64-jährigen Joseph A. Schumpeter aus Harvard zurück nach Deutschland zu holen. In München schlugen die Volkswirte 1946 so unterschiedliche Ökonomen wie Edgar Salin und Eduard Heimann für ein und denselben Lehrstuhl vor, weil die Krit…


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