Posthumanismus

Posthumanismus

Einband:
Paperback
EAN:
9783593500317
Untertitel:
Leben jenseits des Menschen
Genre:
Geisteswissenschaften allgemein
Autor:
Rosi Braidotti
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Anzahl Seiten:
215
Erscheinungsdatum:
01.05.2014
ISBN:
978-3-593-50031-7

Der posthumane Mensch als soziale Utopie

Genetik und künstliche Befruchtung, Robotik, Implantate und Computertechnologie haben nicht nur in der Science-Fiction Cyborgs, Zombies und Klone hervorgebracht. Auch in der Philosophie und in den Humanwissenschaften hat sich seit einigen Jahren eine lebendige Diskussion über die Grenzen und Möglichkeiten des Menschen angesichts moderner Technologien entwickelt. Rosi Braidotti unternimmt eine faszinierende Tour de Force vom Humanismus zum Zeitalter des Posthumanismus, in das technologischer Fortschritt und Kapitalismus uns katapultiert haben: Der humanistische Mensch männlich, weiß, rational, selbstbewusst, eurozentrisch ist nicht mehr Maß aller Dinge und hat heute, so Braidotti, einem nomadischen, nicht-individuellen Subjekt Platz gemacht. Vor der Folie postkolonialer und feministischer Theorie legt das Buch die Grundlage für eine neue Theorie dieses posthumanen Subjekts: Nicht mit sich selbst identisch, kollektiv und kosmopolitisch ist es vielfältig mit anderen Subjekten vernetzt mit Menschen wie mit Tieren und Dingen. So birgt für Braidotti das Ende des Humanismus eine Utopie: Es eröffnet neue soziale Bindungen und Gemeinschaftlichkeit im globalen Maßstab.

Vorwort
Der posthumane Mensch als soziale Utopie

Autorentext
Rosi Braidotti ist Professorin für Philosophie an der Universität Utrecht (Niederlande) und dort Gründungsdirektorin des »Centre for the Humanities and Gender Studies«.

Leseprobe
Einleitung Nicht jeder von uns kann mit Sicherheit sagen, dass wir immer oder ausschließlich menschliche Wesen waren. Manche werden auch heute noch nicht als vollwertige Menschen angesehen, ganz zu schweigen von früheren Epochen in der westlichen Sozial-, Politik- und Wissenschaftsgeschichte. Nicht, wenn wir unter "dem Menschen" jenes Geschöpf verstehen, das wir aus der Aufklärung und ihrem geistigen Erbe kennen: "Das Cartesische Subjekt des Cogito, die Kantische Gemeinschaft vernünftiger Wesen oder, stärker soziologisch gewendet, das Subjekt als Bürger, als Inhaber von Rechten, als Eigentümer und so weiter" (Wolfe 2010a). Und doch herrscht breite Übereinstimmung über diesen Begriff; er besitzt die beruhigende Vertrautheit des Alltagswissens. Wir behaupten unsere Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, als sei sie eine Tatsache, eine Gegebenheit; so sehr, dass wir daraus grundlegende Rechte ableiten. Aber verhält es sich auch so? Während konservativ-religiöse Kräfte heute vielfach bestrebt sind, das Humane wieder in ein naturrechtliches Denken zurückzuverlagern, wurde der Begriff unter dem doppelten Druck wissenschaftlicher Fortschritte und globaler ökonomischer Interessen gesprengt. Nach der postmodernen, postkolonialen, postindustriellen, postkommunistischen, ja sogar der heftig umstrittenen postfeministischen Phase scheinen wir einzutreten in die posthumane Verwicklung. Statt nur die x-te Variante in einer Abfolge von immer neuen, mehr oder weniger beliebigen Vorsilben zu sein, bedeutet die posthumane Situation einen grundlegenden Wandel in unserer Vorstellung dessen, was eigentlich unsere Gattung, unser Gemeinwesen und unser Verhältnis zu anderen Bewohnern dieses Planeten ausmacht. Das wirft ernsthafte Fragen auf, die nicht weniger als die Strukturen unserer gemeinsamen Identität - als Menschen - in der Komplexität der heutigen Wissenschaft und Politik oder der internationalen Beziehungen betreffen. In unseren globalisierten, technologisch vermittelten Gesellschaften verbreiten und überlagern sich Diskurse und Vorstellungen des Nichtmenschlichen, Unmenschlichen, Menschenfeindlichen, Inhumanen und Posthumanen. Die in der Alltagskultur geführten Debatten reichen von nüchtern-geschäftlichen Auseinandersetzungen mit Robotik, Prothesentechnik, Neurowissenschaften und biogenetischem Kapital bis hin zu wolkigen New-Age-Visionen eines Transhumanismus und einer Technotranszendenz. In ihrem Zentrum steht die menschliche Weiterentwicklung. Im akademischen Diskurs wird das Posthumane entweder als die kommende Herausforderung für die Kulturtheorie und als neues kritisches Denken begrüßt, oder es wird als der letzte Schrei in einer Serie modischer "Post"-ismen abgetan. Das Posthumane ruft Begeisterung hervor, aber auch Befürchtungen hinsichtlich einer möglichen Dezentrierung "des Menschen" als dem bisherigen Maß aller Dinge (Habermas 2001). So ist die Sorge verbreitet, die herrschende Auffassung des menschlichen Subjekts und das darauf beruhende Wissenschaftsgebiet, die Geistes- und Humanwissenschaften, könnten an Bedeutung verlieren. Meiner Auffassung nach liegt der gemeinsame Nenner der posthumanen Situation in einer Vorstellung von der vitalen, selbstorganisierenden, aber nicht-naturalistischen Struktur des Lebendigen selbst. Dieses Natur-Kultur-Kontinuum bildet den allgemeinen Ausgangspunkt für meinen Überblick über das Gebiet posthumaner Theorie. Ob diese post-naturalistische Annahme zu spielerischen Experimenten mit den Grenzen körperlicher Perfektionierbarkeit, zu moralischer Entrüstung über die Verletzung jahrhundertealter Glaubenssätze bezüglich der menschlichen "Natur" oder zur gewinnträchtigen Verwertung von genetischem und neuronalem Kapital führen wird, bleibt allerdings abzuwarten. In diesem Buch will ich versuchen, diese Zugänge zu erkunden und mich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen, indem ich für eine posthumane Subjektivität plädiere. Was hat es mit diesem Natur-Kultur-Kontinuum auf sich? Es bezeichnet ein wissenschaftliches Paradigma, das auf Distanz zu dem weit verbreiteten sozialkonstruktivistischen Ansatz geht. Dieser Ansatz beruht auf einer kategorialen Unterscheidung zwischen dem Gegebenen (Natur) und dem Konstruierten (Kultur). Durch diese Unterscheidung lässt sich der Gegenstand der Sozialwissenschaften genauer bestimmen; sie macht es möglich, die Untersuchung und Kritik der gesellschaftlichen Mechanismen, auf denen die Konstruktion von Identitäten, Institutionen und Praktiken beruht, auf eine feste Grundlage zu stellen. Politisch geht es dabei um den Versuch, soziale Unterschiede zu entnaturalisieren, indem gezeigt wird, dass sie das Produkt von Geschichte und menschlichem Tun sind. Man denke nur an die weltverändernde Wirkung des Satzes von Simone de Beauvoir (1992 [1949]): "Man kommt als Frau nicht zur Welt, man wird es." Diese Einsicht in die gesellschaftliche Natur sozialer Ungleichheiten und damit in ihre historische Veränderlichkeit eröffnet den Weg zu ihrer Auflösung durch menschliches Handeln in Form von politischer Tätigkeit. Diese Betrachtungsweise, die auf dem Gegensatz zwischen dem Gegebenen und dem Konstruierten beruht, wird gegenwärtig verdrängt durch ein nicht-dualistisches Verständnis von Natur und Kultur. Es verbindet sich in meiner Sicht mit einer monistischen Philosophie, die den Dualismus - besonders den Gegensatz von Natur und Kultur - ablehnt und die selbstorganisierende (oder autopoietische) Kraft lebendiger Materie betont. Wissenschaftliche und technische Fortschritte haben die Grenzen zwischen Natur und Kultur verschoben und zum großen Teil verwischt. Dieses Buch geht davon aus, dass die Gesellschaftstheorie eine Bestandsaufnahme der durch diesen Paradigmenwechsel veränderten Begriffe, Methoden und politischen Praktiken vornehmen muss. Umgekehrt ist die Frage, welche Art von politischer Analyse und progressiver Politik durch diese auf dem Natur-Kultur-Kontinuum beruhende Betrachtung gefördert wird, von zentraler Bedeutung für die Agenda der posthumanen Verwicklung. Die Fragen, mit denen ich mich in diesem Buch beschäftigen will, sind erstens: Was ist das Posthumane? Genauer gesagt, was sind die theoretischen und historischen Zugänge, die uns zu ihm hinführen? Zweitens: Wo bleibt eigentlich in der posthumanen Situation das Humane? Genauer gesagt, welche neuen Formen von Subjektivität werden durch das Posthumane gefördert? Drittens: Wie erzeugt das…


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