Großreinemachen im Osten

Großreinemachen im Osten

Einband:
Paperback
EAN:
9783593500959
Untertitel:
Feindbilder in deutschen Feldpostbriefen im Zweiten Weltkrieg
Genre:
20. Jahrhundert (bis 1945)
Autor:
Michaela Kipp
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
1. Auflage
Anzahl Seiten:
493
Erscheinungsdatum:
30.04.2014
ISBN:
978-3-593-50095-9

Warum beteiligten sich normale deutsche Männer an Kriegsverbrechen gegen die Bevölkerung der osteuropäischen Länder? Einblick in die Beweggründe der Wehrmachtsangehörigen bieten Briefe, die sie aus dem Krieg nach Hause schrieben. Gestützt auf eine qualitative Auswertung von ca. 7000 Feldpostbriefen untersucht Michaela Kipp das Denken der Protagonisten des Vernichtungskriegs und das Funktionieren der militärischen Apparate aus einer alltagsweltlichen Perspektive mit großer Nähe zu den "ordinary men". Dabei zeigt sich, dass die Soldaten kaum auf ideologische Argumente rekurrierten, sondern eher damit beschäftigt waren, ihre Eindrücke im Einsatzgebiet dem eigenen Erfahrungshorizont anzuverwandeln. In diesem Zusammenhang entfaltete insbesondere das zivilisatorische Grundmotiv der "Reinlichkeit" eine mörderische Wirkung.

Autorentext
Michaela Kipp, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Göttingen.

Klappentext
Warum beteiligten sich normale deutsche Männer an Kriegsverbrechen gegen die Bevölkerung der osteuropäischen Länder? Einblick in die Beweggründe der Wehrmachtsangehörigen bieten Briefe, die sie aus dem Krieg nach Hause schrieben. Gestützt auf eine qualitative Auswertung von ca. 7000 Feldpostbriefen untersucht Michaela Kipp das Denken der Protagonisten des Vernichtungskriegs und das Funktionieren der militärischen Apparate aus einer alltagsweltlichen Perspektive mit großer Nähe zu den »ordinary men«. Dabei zeigt sich, dass die Soldaten kaum auf ideologische Argumente rekurrierten, sondern eher damit beschäftigt waren, ihre Eindrücke im Einsatzgebiet dem eigenen Erfahrungshorizont anzuverwandeln. In diesem Zusammenhang entfaltete insbesondere das zivilisatorische Grundmotiv der »Reinlichkeit« eine mörderische Wirkung.

Leseprobe
Dank Die vorliegende Arbeit wurde von der Fakultät für Geschichtswissen-schaft, Philosophie und Theologie der Universität Bielefeld 2009 als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung habe ich sie entsprechend überarbeitet und gekürzt. Meinem Doktorvater Heinz-Gerhard Haupt danke ich für sein unerschütterliches Vertrauen und dafür, dass er mir eine großartige Zeit am European University Institute in Florenz ermöglichte; Willibald Steinmetz für anschauliche Übungen im strategischen Denken und für sein sehr hilfreiches Zweitgutachten; Sven Oliver Müller für intensive und kundige Begleitung und nicht zuletzt für die Überlassung einiger hundert Feldpostbriefe; Frank Werner für das gemeinsame Nachdenken und Streiten; dem Evangelischen Studienwerk Villigst für die großzügige Gewährung eines Promotionsstipendiums und die fortgesetzte mentale Förderung auf allen Ebenen; Klaus Holz für seinen fachlichen Rat und die konstruktive Zusammenarbeit; Martin Humburg und Klaus Latzel für die sofortige Bereitschaft, ihre Expertise mit mir zu teilen; Andreas Ruppert (Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe) und Thomas Jander (Museum für Kommunikation, Berlin) stellvertretend für die vielen hilfsbereiten ArchivmitarbeiterInnen; Katja Kosubek für Briefkopien; der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses; Arnd Reitemeier, weil er mir als verständnisvoller Chef für die letzte Phase der Überarbeitung den Rücken freigehalten hat; sowie zahlreichen weiteren Gesprächspartnern und Unterstützern, die nicht alle persönlich genannt werden können. Eberhard Ortland danke ich für sein erfahrenes Lektorat - und für so viel anderes mehr, das hier nicht in Worte zu fassen ist. Danke. Hildesheim, im Dezember 2013, Michaela Kipp Einleitung: Schreiben im Krieg - sinnstiftende Aneignung von Wirklichkeit "Das Schönste hier ist, daß alle Juden vor uns den Hut ausziehen. Wenn ein Jude uns schon von 100 m sieht, zieht er schon seinen Hut aus. Wenn er es nicht tut, dann bringen wir es ihm bei. Liebe Ellen, hier fühlst du dich als Soldat, denn hier haben wir das Wort", schreibt der Soldat Dieter S. am 17. Mai 1942 von der Ostfront an seine Frau. Der knappe Auszug aus diesem Brief wirft Fragen auf. Woher nimmt der Schreiber seine Überlegenheitsempfindung? Auf welcher Grundlage fühlt er sich im Recht, Gewalt anzuwenden, sobald er seine Machtansprüche nicht entsprechend respektiert sieht? Wieso beschreibt er das Soldatentum als sozialen Status, der Handlungsoptionen eröffnet, und nicht etwa im bindenden Verständnis einer allgemeinen Wehrpflicht? Warum erscheint die Diskriminierung als natürlich - ohne Erklärungsbedarf? Überhaupt: Was kann aus den wenigen Worten schon geschlossen werden? Einerseits sind sie nicht mehr als die subjektive Äußerung eines einzelnen Soldaten in einer bestimmten historischen Situation, doch zugleich auch ein Dokument kollektiver Vorstellungen der deutschen Gesellschaft im Nationalsozialismus. So oder ähnlich haben Millionen Deutscher sich geäußert. Die den Formulierungen zugrundeliegenden Deutungsmuster sind nicht nur in der Feldpost omnipräsent. Aus dem Spannungsverhältnis zwischen individuellen und kollektiven Komponenten erhalten Selbstzeugnisse ihren besonderen Wert. Sie können helfen, durch die Rekonstruktion der zentralen Koordinaten im geistigen Orientierungssystem ihrer Verfasser Rückschlüsse auf kulturell normiertes Vorwissen zu ermöglichen. Diese kulturelle Matrix des Kriegshandelns offenbarte sich in alltäg-lichen Dingen. So wurden gesellschaftliche Überzeugungen, die aus den Wechselbeziehungen des Alltags - teilweise unter Aufnahme von Sprach-regelungen und Sichtweisen, die durch die propagandistisch instrumenta-lisierten Massenmedien verbreitet wurden - entstanden waren, in Selbst-zeugnisse direkt und unwillkürlich eingeschrieben. Feldpostbriefe, Kriegs-tagebücher und private Fotografien der Soldaten, aber auch Zensurakten geben Auskunft über das Bewusstsein der Deutschen im Zweiten Welt-krieg. Gegenüber der oft erst mit erheblichem zeitlichem Abstand und im Hinblick auf einen grundlegend anders sich verstehenden Adressatenkreis geschriebenen Erinnerungsliteratur zeichnen diese Quellen sich durch ihre Nähe zum Geschehen aus. Sie liegen auf der Blickhöhe der Akteure und sind kaum durch den Filter des Gedächtnisses gelaufen. Zensurakten do-kumentieren, wo die Grenzen des unter dem nationalsozialistischen Regi-me offen Kommunizierbaren verliefen, wie sie gegebenenfalls unterlaufen oder überschritten wurden und wann sich Wehrmachtssoldaten zu Formen der Kritik hinreißen ließen. Andere Egodokumente wie Kriegstagebücher einfacher Soldaten sind rar gesät. Im Medium der Feldpost hingegen hinterließ der Krieg massenhaft Spuren von Alltagskommunikation unter räumlich getrennten Vertrauten, die alle gesellschaftlichen Gruppen erfasste. Es wird geschätzt, dass die deutsche Feldpost im Zweiten Weltkrieg ca. 33 Milliarden Postsendungen beförderte. Auch wenn der größte Teil der Briefe nicht überliefert wurde, liegen heute Millionen davon in deutschen Archiven, unzählige weitere existieren noch in Privathaushalten. Auch als aussagekräftige Quelle zur Kriegsgeschichte sind Feldpostbriefe bereits mehrfach herangezogen worden; Sammlungen von Feldpostbriefen wurden verschiedentlich publiziert. Die vorliegende Untersuchung wendet sich den Spuren, die die Solda-ten in ihren Briefen hinterlassen haben, zu, um daraus die psychosozialen Voraussetzungen massenhaften Gewalthandelns zu rekonstruieren. Das erscheint umso notwendiger, als die empirischen Fakten des Vernichtungskriegs eine deutliche Sprache sprechen: Bis heute ist für den Zweiten Weltkrieg kein einziger Fall nachgewiesen worden, in dem ein deutscher Soldat, Polizist oder SS-Mann seine Weigerung, auf Zivilisten zu schießen, mit dem Leben bezahlt hätte. Dagegen sind zahlreiche Beispiele dokumentiert, in denen sich Befehlsempfänger den Mordeinsätzen entzogen, ohne dafür gravierende Sanktionen in Kauf zu nehmen. Das von NS-Tätern nach 194…


billigbuch.ch sucht jetzt für Sie die besten Angebote ...

Loading...

Die aktuellen Verkaufspreise von 5 Onlineshops werden in Realtime abgefragt.

Sie können das gewünschte Produkt anschliessend direkt beim Anbieter Ihrer Wahl bestellen.


Feedback