Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste

Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593510897
Untertitel:
Ein Beitrag zur Gesellschaftsdiagnose
Genre:
Soziologische Theorien
Autor:
Eva Barlösius
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
1. Auflage
Anzahl Seiten:
217
Erscheinungsdatum:
15.09.2019
ISBN:
978-3-593-51089-7

Kioske, Bankautomaten, Versicherungen, Ökosysteme und sogar Denkmuster: Gegenwärtig wird alles Mögliche zur Infrastruktur erklärt. Dieses Buch fragt, welche gesellschaftliche Transformation sich darin äußert; denn das Regime der Infrastrukturen ist darauf ausgelegt, eine bestimmte sozial-räumliche Ordnung zu realisieren. Wenn Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste fungieren, dann eignen sie sich, so die These dieses Buches, zur Gesellschaftsdiagnose. Anhand von vier Fallstudien der Verdörflichung von Infrastrukturen, der Temporalisierung von Entfernungen, dem Wandel der Staatsaufgaben und der Infrastrukturierung von Forschung untersucht Eva Barlösius, was Infrastrukturen gesellschaftlich leisten. Und sie diskutiert, warum für die Wissensgesellschaft ein infrastrukturelles Regime notwendig ist, das sich von dem der wohlfahrtsstaatlichen Industriegesellschaft unterscheidet.

»Das Buch von Eva Barlösius ist äußerst anregend. [] Hier [wird] ein wichtiger und empirisch gesättigter Beitrag geleistet, um die oft unbewusst bleibenden und latent wirkenden Infrastrukturen unserer Gesellschaft analytisch ernst zu nehmen.« Dirk van Laak, Soziopolis, 07.07.2020 »Die Autorin betreibt in ihrer großangelegten empirischen Studie eine gründliche Soziologisierung des mittlerweile allgegenwärtigen, aber recht unscharfen Infrastrukturbegriffs und auf dieser Grundlage eine empirische Substanzialisierung der von ihr präferierten Beschreibungsform der Gegenwartsgesellschaft (Wissensgesellschaft).« Alexander Bogner, Kölner Zeitschrift für Soziologie, 2020 (72) »Das Buch ist aufschlussreich für ein Verständnis der Rationalität staatstragender Akteure wie der Ingenieure und Verwaltungsbeamten, die als Infrastrukteure das wissenschaftlich-technokratische Geschehen von Infrastrukturesembles gestalten.« Kris Decker, Soziologische Revue, 3.2021

Autorentext
Eva Barlösius ist Professorin für Makrosoziologie und Sozialstrukturanalyse im Institut für Soziologie an der Leibniz Universität Hannover (LUH). Sie hat das Leibniz Center for Science and Society an der LUH gegründet, das interdisziplinäre Forschung über Strukturen und Prozesse der Wissensgesellschaft betreibt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind soziale Ungleichheiten, Soziologie des Essens und Wissenschaftssoziologie.

Leseprobe
1. Einleitung: Der gesellschaftsdiagnostische Gehalt von Infrastrukturen Um sogleich Missverständnissen vorzubeugen: Hier wird keine soziologische Gesellschaftsdiagnose präsentiert, mit der behauptet wird, dass wir in einer »Infrastrukturgesellschaft« leben. Es ist aber zu beobachten, dass gegenwärtig alles Mögliche zur Infrastruktur erklärt wird. So wurden in den vergangenen Jahren beinahe alle Versorgungseinrichtungen, einschließlich Medien und Kultur, Finanz- und Versicherungswesen, staatlicherseits als »kritische Infrastrukturen« eingestuft, und es wurde eine »nationale Strategie« zu deren Schutz verabschiedet (BMI 2009). In ländlichen Regionen zählen nunmehr neben klassischen Einrichtungen wie Dorfläden und Arztpraxen auch Gasthäuser, Bankautomaten und Kioske zur »daseinsvorsorgenden Infrastruktur« (Kersten et al. 2012a; 2012b). Selbst Denkstile und -muster tituliert man mittlerweile als »mentale Infrastrukturen«, um ihr Beharrungsvermögen zu akzentuieren (vgl. Welzer 2011). In der Philosophie hat sich der Terminus »Infrastructures of Responsibilty« eingebürgert, mit dem die moralischen Aufgaben von Institutionen bezeichnet werden (Williams 2006). Zu beobachten ist weiterhin, dass Forschungsmethoden, -daten, und -instrumente zunehmend nicht mehr als Teil der Forschung betrachtet, sondern den wissenschaftlichen Infrastrukturen zugerechnet werden (vgl. Barlösius 2016a). Offenbar wird der Bezeichnung als Infrastruktur derzeit besonders große Bestimmtheit und Aussagekraft zugetraut. Allerdings wird gegenwärtig, wie diese kleine Aufzählung illustriert, Infrastruktur als geradezu beliebig dehnbarer und auslegbarer Begriff verwendet. Diese Verwendungsweise unterscheidet sich grundlegend von seinem ursprünglichen Gebrauch, der einzig große technische Einrichtungen umfasste, wie Talsperren, Eisenbahnen oder Wasser- und Elektrizitätsleitungen (siehe Kapitel 2). Dass seit einigen Jahren so Vieles und Unterschiedliches zur Infrastruktur deklariert wird, begründet sich nicht aus einer sprunghaften Zunahme der Anzahl von Infrastrukturen. Auch dokumentiert sich darin nicht, dass Infrastrukturen jetzt mehr soziale Ordnungsdienste zu leisten haben in dem Sinn, dass ihnen die Durchsetzung umfangreicherer und umfassenderer sozial-räumlicher Ordnungen übertragen wurde mit anderen Worten, dass immer mehr Lebensbereiche mittels Infrastrukturen sozial-räumlich geordnet werden. Vielmehr zeigt sich darin ein Wandel des infrastrukturellen Regimes sowie der Strukturierung der Gesellschaft mittels Infrastrukturen. Der Begriff Regime ist hier rein deskriptiv gemeint. Mit ihm soll verdeutlicht werden, dass Infrastrukturen sozial strukturiert sind, also Ergebnis sozialer Prozesse und Strukturen, und zugleich sozial strukturierend wirken, indem sie soziale Strukturierungen hervorbringen bzw. vorhandene soziale Strukturen festigen. Der Begriff des infrastrukturellen Regimes steht weiterhin dafür, dass den Infrastrukturen jeweils ein bestimmter Modus der gesellschaftlichen Strukturierung inhärent ist, beispielsweise mittels staatlich betriebener Infrastrukturen bestimmte Formen sozialer Integration und gesellschaftlicher Teilhabe zu realisieren. Wie dies geschieht, wird im Folgenden ausführlich erläutert, ebenso wird die verwendete Konzeption von Infrastrukturen umfangreich dargelegt. Mit der Formulierung der gesellschaftlichen Strukturierung durch Infrastrukturen soll ausgedrückt werden, dass diese auf eine bestimmte sozial-räumliche Ordnung ausgerichtet sind, etwa auf eine, die durch die Bodenausdehnung des Staates, sprich territorial, bestimmt ist. Insofern Infrastrukturen dazu eingesetzt werden, sozial-räumliche Ordnungen umzusetzen, sind sie als soziale Ordnungsdienste tätig. Auf welche sozial-räumliche Ordnung sie hinwirken, ergibt sich aus dem Regime der Infrastrukturen. Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist es, zu zeigen, dass sich Analysen über den Wandel des infrastrukturellen Regimes zur soziologischen Gesellschaftsdiagnose eignen. Gewiss ist eine Gesellschaftsbeschreibung mittels Infrastrukturen weder allumfassend, noch berücksichtigt sie die gesamte gesellschaftliche Komplexität. Sie rekurriert auch nicht auf eine soziologische Großtheorie, von deren Syntheseleistung sie profitieren könnte. Trotzdem das ist die Hauptaussage lassen sich anhand von Infrastrukturen Eigenheiten der sozial-räumlichen Ordnung identifizieren wie auch Prozesse deren Transformation kenntlich machen. Für den gesellschaftsdiagnostischen Gehalt von Infrastrukturen spricht insbesondere zweierlei: Erstens schaffen Infrastrukturen mit Marx gesprochen die Voraussetzungen für »alle allgemeinen Bedingungen der Produktion« (Marx 1974: 429) sowie für die als »gesellschaftlich gesetzten Bedürfnisse des Individuums« (ebd.: 432). Anders formuliert und auf weitere soziale Felder ausgeweitet, stellen Infrastrukturen Vorleistungen für die Leistungserstellung der sozialen Felder bereit, und sie fördern Prozesse sozialer Integration und Vergesellschaftung. Folglich wirken sie an Prozessen der funktionalen wie der sozial-strukturellen Differenzierung mit. Zweitens legen sie nicht nur die Bahnen für mögliche gesellschaftliche Entwicklungen in der Gegenwart, sondern ebenso für die Zukunft aus, weil sie »Vorgriffe auf die Zukunft« vornehmen (vgl. Laak 2008: 306). So ermöglichen und fördern sie bestimmte Prozesse der funktionalen und sozialstrukturellen Differenzierung, während sie andere bremsen oder gar verhindern. Auf diese Weise fungieren sie als Weichensteller für künftige gesellschaftliche Entwicklungen und basieren auf Annahmen darüber, was zukünftig erforderlich und möglich sein soll, wie auch darüber, was…


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