Was vom Tage übrig bleibt

Was vom Tage übrig bleibt

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593511436
Untertitel:
Die Gewerkschaften und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Genre:
Arbeits-, Wirtschafts- & Industriesoziologie
Autor:
Michaela Schonhöft-Dickgreber
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
1. Auflage
Anzahl Seiten:
338
Erscheinungsdatum:
21.08.2019
ISBN:
978-3-593-51143-6

Für die meisten arbeitenden Eltern ist eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf wesentlich. Aber nur knapp ein Drittel von ihnen halten die Bedingungen in den Unternehmen für zufriedenstellend. Die Gewerkschaften haben sich trotz ihrer vermittelnden Funktion zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bisher wenig in den Diskurs eingeschaltet. Obwohl die Frage nach der Vereinbarkeit nach wie vor in erster Linie von ihnen als ein »Frauenproblem« konstruiert wird, mehren sich doch die Anzeichen, dass sich die Argumentationsstrategien verändern.

Autorentext
Michaela Schonhöft-Dickgreber ist Sozialwissenschaftlerin und Autorin.

Leseprobe
1. Einleitung Bei einer Reise nach Schweden im Sommer 2014 machte mich ein Freund aus Stockholm auf einen Kampagnen-Film des schwedischen Gewerkschaftsbundes TCO aufmerksam. Der Film spielt im sonnigen Los Angeles. In dem Video sieht man einen jungen, hippen amerikanischen Vater mit seinem kleinen Sohn. Der schwärmt in seiner Villa mit Pool davon, es sei so schön, wie ein schwedischer Vater zu leben und zu arbeiten. Er erzählt von bezahlter Elternzeit, sechs Wochen Urlaub und einer sicheren und angenehmen Altersversorgung. Während sich alle anderen um ihn herum als sehr hart arbeitende Eltern aufreiben müssen, genießt er dank seines Arbeitgebers, der sich an skandinavischer Familienfreundlichkeit orientiert, ein entspanntes Leben in Elternzeit. Die Botschaft lautet: Es ist äußerst erstrebenswert, nach dem schwedischen Modell zu leben, vor allem, wenn man Kinder hat. Schweden gilt in Sachen Vereinbarkeit international, ganz besonders aber auch in Deutschland, als Land der Sehnsüchte. »Kinder und Karriere passen nicht zusammen? Das stimmt, in Deutschland, nicht aber in Skandinavien«, schreibt »Die Zeit«. »Wir haben uns von den Schweden inspirieren lassen«, kommentiert Franziska Brantner, familienpolitische Sprecherin der Grünen, im Tagesspiegel die Einführung des Elterngeld Plus. »Dort haben vergleichbare Regelungen beim Elterngeld dafür gesorgt, dass Mütter und Väter sich gleichberechtigter auf einem ähnlichen Arbeitszeitniveau eingependelt haben.« Nicht nur Politiker und Journalisten argumentieren in Sachen Vereinbarkeit gerne mit schwedischen Beispielen. Auch deutsche Gewerkschaften beziehen sich in ihren Forderungen für eine bessere Vereinbarkeit auf die Vorteile gleichberechtigter Arbeitsteilung, eine gute Betreuungsinfrastruktur und eine grundsätzlich familienfreundliche Arbeitskultur in dem skandinavischen Land. »Dass es auch anders geht, zeigt Schweden«, betont die IG Metall Heidelberg in einer Pressmitteilung. »Hier ist Familienfreundlichkeit eine Selbstverständlichkeit. Probleme mit starren Arbeitszeiten kennen die Arbeitnehmer dort nicht. Wenn die Kinder krank sind, bleibt der Mitarbeiter zu Hause und die Lebenspartner wechseln sich ab, wenn der Nachwuchs von der Kita abgeholt werden muss. Das akzeptieren die Kollegen ebenso wie der Chef.« Der Ortsfrauenausschuss der IG Metall Bremerhaven lobt die geringe weibliche Teilzeitquote in Schweden. »Hier liegt ein eklatanter Unterschied zu Deutschland, wo Teilzeitbeschäftigung und Minijobs bei den Frauen immer mehr zunehmen.« Das skandinavische Modell bringt nachweislich Erfolge in Sachen Vereinbarkeit: Die Beschäftigungsquoten von Frauen und Müttern in Schweden zählen im EU-Durchschnitt zu den höchsten, die Armutsquote bei Kindern ist vergleichsweise niedrig (Esping-Andersen 2015: 124134). »Die schwedische Regierung unterstützt das Modell der Doppelverdiener-Familie und gewährt Frauen und Männern viele Rechte und Vergünstigungen hinsichtlich Familie und Job, damit Vereinbarkeit gelebt werden kann«, lobt die IG Metall. In keinem Land scheinen die Menschen Privatleben und Job besser unter einen Hut zu bringen als in Schweden. Die Sehnsucht nach schwedischen Verhältnissen spiegelt sich auch in den Interviews wider, die ich im Zuge dieser Studie mit deutschen Gewerkschaftsmitgliedern führte. »Ich würde mir sehr sehr wünschen, wenn wir dahin kommen, wo die Schweden mittlerweile längst sind, dass es das normalste der Welt ist, dass man Eltern ist und arbeitet, und dass es einfach zusammengehört und dass es das Normalste der Welt ist, dass es gar keine Frage ist, sondern dass es eher akzeptiert wird und darauf auch entsprechend reagiert wird, dass es kein Makel ist, und nicht ein Problem darstellt.« (IP001) Auf der offiziellen Homepage des Staates Schweden wirbt ein Beitrag an prominenter Stelle mit »Fünf Gründen, warum man in Schweden arbeiten sollte«. Genannt werden an erster Stelle die vielen Rechte, die ein Angestellter in Schweden genieße. Das Wohlbefinden der Mitarbeiter stehe an erster Stelle. Die Gewerkschaften hätten in Schweden viel Macht. Dass Privatleben und Beruf in Schweden verhältnismäßig gut zu vereinbaren sind, ist dort in der Tat ganz besonders auch den Arbeitnehmerorganisationen zu verdanken (Hirdman 1998: 3647). Sie hatten bereits in den 1970er Jahren mit Politik und Wirtschaft eng zusammengearbeitet, unter anderem auf einen starken Ausbau der Betreuungsinfrastruktur gedrängt. Das vereinbarte »schwedische Modell« blieb nicht statisch, sondern soll sich per definitionem fließend dem gesellschaftlichen Diskurs und dem Wandel auf dem Arbeitsmarkt anpassen. Denn beides verändert sich mit großer Dynamik und damit auch die Anforderungen an die Arbeitnehmer. Doch auch die Schweden arbeiten inzwischen wieder mehr als ihnen guttut. Die Unternehmen drängen massiv zu mehr Flexibilität, beklagt Monika Arvidsson, Wirtschaftswissenschaftlerin bei der Gewerkschaft TCO. »Die Verhandlungsmacht der Arbeitgeber hat zugenommen, wodurch sich, im Gegensatz zu früher, der Rahmen für Lohn- und Gehaltserhöhungen oberhalb der zentral verhandelten Rate verkleinert hat. Die zunehmende Dezentralisierung der Tarifverhandlungen in Verbindung mit der Einkommenspolitik der bürgerlichen Koalitionsregierung hat die Einkommensschere vergrößert.« (Arvidsson 2014) Die offensive Vereinbarkeits-Kampagne der TCO war nicht nur ein Loblied auf die vergleichsweise egalitäre und familienfreundliche Wirtschaftswelt in Schweden. Sie sollte auch deutlich machen, dass Gewerkschaften sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen können. Das »schwedische Modell« betone den Willen der Gewerkschaften und der Unternehmen, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, erklärt Ana Esteban, Pressesprecherin der TCO: »Man ist geschmeidig. Die Gesetzgebung ist weniger rigide.« Starre Regelungen seien nicht gut für die schwedische Wirtschaft. Auf der Kampagnenseite der TCO ist zu lesen: »Das schwedische Modell kann in einem Wort zusammengefasst werden: Zusammenarbeit. Das bedeutet, dass sich Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen gemeinsam je nach Lage des Arbeitsmarktes auf die besten Konditionen einigen, ohne dass die Regierung sich in ihre Entscheidungen einmischt. Diejenigen, die am nächsten dran sind, treffen die Entscheidungen für diesen bestimmten Arbeitsmarkt.« Neue Arbeitsmodelle scheinen also zumindest in Schweden einem stetigem diskursiven Prozess und Wandel ausgesetzt. Das gilt auch für die Debatte über die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben hierzulande. Doch der Diskurs hat in Deutschland im Vergleich zu Schweden Schwierigkeiten, eine gewisse Mächtigkeit zu erreichen. Man habe das Thema in den vergangenen beiden Jahrzehnten vernachlässigt, klagt der Vorsitzende der IG BCE Michael Vassiliadis. Vereinbarkeit wird im medialen Diskurs in Deutschland häufig als etwas dargestellt, das es gar nicht gibt. »Allein das Wort ist eine Beschönigung«, schreiben Susanne Garsoffky und Britta Sembach in einem Beitrag für eine Wochenzeitung. »Denn es gibt nur ein Nebeneinander zweier völlig unterschiedlicher Lebensbereiche, die sich, wenn man sie gleichzeitig ausübt, einfach addieren. Hören wir endlich auf, die Vereinbarkeit als rein individuelles Problem zu sehen, an dem jeder und jede aus persönlicher Unzulänglichkeit verzweifelt.« Die Journalisten Marc Brost und Heinrich Wefing k…


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