Suff und Sühne

Suff und Sühne

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783940435200
Untertitel:
Kriminalroman
Genre:
Krimis, Thriller & Spionage
Autor:
Gary Victor
Herausgeber:
litradukt
Auflage:
Ungekürzte Ausgabe
Anzahl Seiten:
160
Erscheinungsdatum:
31.03.2017
ISBN:
978-3-940435-20-0

Inspektor Dieuswalwe Azémar hat keine Wahl: Will er nicht aus dem Polizeidienst entlassen werden, muss er sich der Entziehungskur unterziehen, die sein neuer Vorgesetzter ihm verordnet hat. Sie wird zu einem Gang durch die Hölle. Ausgerechnet in diesem geschwächten Zustand wird er in ein Komplott hineingezogen, das sein Leben und das seiner Tochter bedroht. Die Spuren führen zum UN-Militärkontingent in Haiti. Was steckt hinter dem angeblichen Selbstmord eines Generals? Warum wurde der Sohn einer einflussreichen Unternehmerfamilie entführt? Welche Rolle spielt der Bandenchef mit dem seltsamen Namen Raskolnikow bei alldem? Als der Inspektor begreift, wie alles zusammenhängt, ist er ein weiteres Mal auf seine Beretta und seine Reflexe angewiesen.

Autorentext
Gary Victor, geboren 1958 in Port-au-Prince, Haiti, gehört zu den meistgelesenen Autoren seines Landes. Seine Gestalten bilden mittlerweile eine feststehende Typologie der haitianischen Gesellschaft. Außer Romanen, Erzählungen und Dramen schreibt er auch Beiträge für Radio und Fernsehen, die in Haiti regelmäßig für Aufregung sorgen.

Leseprobe
Die riesige, schwarze Tarantel kam langsam von der Decke herunter. Die Zeit hatte sich ins Unendliche verlängert. Das Netz der Spinne schwang in den vier Ecken des Zimmers wie die Saite einer verstimmten Geige. Irrer Hass leuchtete aus ihren sämtlichen Augen. Er, Inspektor Dieuswalwe Azémar, lag bewegungsunfähig auf einem Bett. Nackt. Schon wieder auf einem Bett! Schon wieder nackt! Er erinnerte sich an das Motel, in dem er abgestiegen war, als das Erdbeben einen Teil der Stadt zerstört hatte. Er hatte mit einer Frau geschlafen, und die Decke des Zimmers war eingestürzt. Seine jetzige Lage war schlimmer: Es lag kein Frauenkörper als Schutz auf ihm. Verschreckt behielt er die Klauen im Auge, an denen Gifttropfen glitzerten. Er biss die Zähne zusammen, um der Kälte in seinen Gelenken zu widerstehen, und langte dorthin, wo sein Revolver hätte liegen müssen. Der Smith & Wesson war jedoch von der Generalinspektion eingezogen worden. Er würde seine Waffe nach der Entziehungskur zurückerhalten, wenn der verantwortliche Arzt eine positive Stellungnahme abgab. Hatte er sich bei Madame Baptiste, seiner soro-Lieferantin und vertrauten Freundin, seine andere Waffe, die Beretta, wiedergeholt? Er erinnerte sich nicht. Es war ihm unmöglich, den Kopf nach rechts oder links zu drehen, um sich zu vergewissern. Sein Körper wog eine Tonne. Nur der rechte Arm war noch ein bisschen beweglich. Die Tarantel war nun ganz nah. Der Inspektor versammelte seine Kräfte, um seine Hand zu bewegen. Er tastete vergeblich nach der Waffe. Die scharfen, behaarten Klauen der Spinne drohten einige Zentimeter von seiner Brust entfernt. Sie holte aus, um ihm den Oberkörper zu durchbohren. Ein Schluchzen krampfte Dieuswalwe Azémars Körper zusammen. Seine Lippen schmeckten seinen salzigen Schweiß. Die Spinne schlug mit ihren Klauen nach ihm. Sein Lager kippte ins Leere. Die Dolche der Spinne ließen Funken hinter sich, während sie durch die Luft fuhren. Der Inspektor war auf seinem Bett vorerst außer Reichweite, er pendelte über einem Abgrund, aus dem, wie er seltsamerweise sehen konnte, glühende Feuer leuchteten. Sein Peiniger kicherte: »Wenn du glaubst, dass du davonkommen kannst, Mann, dann täuschst du dich.« Der Kopf der Spinne hatte sich verwandelt: Über ihm schwebte das heitere Gesicht Marasas, des Magiers, den er eines Morgens in einer Hütte im hintersten Winkel des Ortes namens »Die Stinkenden Quellen« erschossen hatte. Die halbmenschliche Spinne änderte ihre Taktik. In den Händen, die sie zwischen den Spinnenbeinen hatte, hielt sie einen Stock, der sorgfältig zu einer Schlange geschnitzt war, und versuchte damit, den Inspektor in den Abgrund zu schieben. Bei jedem Stoß mit dem Stock wurde er näher an den Rand gedrückt. Er tastete weiter nach der Pistole, die so viele Delinquenten ins Land ohne Hut befördert hatte, verurteilt nur von ihm, Inspektor Dieuswalwe Azémar, selbsternannter oberster Richter in einem Land, in dem zu viele korrupte Richter in Diensten schurkischer Mächte standen, die jedes Gewissen kaufen konnten. »Du verschwendest deine Zeit«, jubelte sein Mörder. Nur noch ein Stoß mit dem Stock, und der Abgrund würde ihn verschlingen. Wie konnte sich das Bett so schwerelos über der Schlucht halten? Man hatte ihn gewarnt. Diese brutale Kur konnte zu schweren Sinnesstörungen führen. »Das Leben in diesem Land ist eine Halluzination im Endstadium«, sagte er sich. »Dennoch muss man bis zum letzten Atemzug kämpfen und sich nicht damit aufzuhalten, die Wirklichkeit zu hinterfragen.« Die Tarantel wurde von unbändiger Freude erfasst. Sie drückte mit dem Stock ein letztes Mal gegen den Körper des Inspektors. Der leistete verzweifelten Widerstand und klammerte sich an sein Bett, während seine Hand immer noch nach der Pistole tastete. Entnervt von seinem Widerstand, versuchte die Spinne, das Bett anzuheben, um ihr Opfer in den Abgrund rutschen zu lassen. Im letzten Moment fand er die Waffe. Die Teillähmung seines Arms verschwand. Er feuerte. Marasas Gesicht zerbrach wie eine Maske aus Gips. Der Inspektor schoss das Magazin leer, das Dauerfeuer hörte sich an wie Donnergrollen. Die Szenerie wechselte. Er schwebte über nackten Bergen, ein Papierdrachen der dem Atem einer Gespensterarmee ausgeliefert war. Es waren Flibustier, sie standen in Reihen auf den Decks mehrerer Schiffe, die in Kiellinie parallel zur Küste fuhren. Er verlor an Höhe, stürzte auf eine klaffende Krateröffnung zu. Eine monströse Vagina erfasste ihn mit ihren feuchten Lippen. Jemand rüttelte ihn kräftig: »Herr Inspektor Herr Inspektor Wachen Sie auf.« Er versuchte zurückzukehren, aus seinem Gefängnis hinauszufliegen, über den Stacheldraht zu springen. Wohlwollende Hände schüttelten ihn: »Herr Inspektor Es ist Zeit für Ihre Medikamente.« In einem klebrigen Nebel erkannte er vor sich ein Gesicht. Es war nicht das von Marasa. Er musste einige Sekunden in seinem Gedächtnis kramen, bis er das Gesicht der Frau, die sich mit besorgtem Ausdruck zu ihm hinbeugte, mit einem Namen belegen konnte. Sie reichte ihm ein Glas Wasser und zwei Tabletten. »Ich will sie nicht«, schluchzte er, »ich leide zu sehr. Ich kann nicht mehr.« Sie küsste ihn auf seine brennende Stirn. »Es muss sein. Es ist für Ihre Tochter Mireya. Wenn Sie nicht arbeiten, was soll dann aus ihr werden?« Er erkannte die Stimme von Madame Excès, die sich seit einigen Jahren um Mireya kümmerte, wenn er nicht da war. Er schluckte die Pillen mit etwas Wasser. Madame Excès legte ihn unendlich sanft wieder ab. »Sie haben Fieber, Herr Inspektor. Das ist normal, sagt der Arzt. Da sehen Sie, was für Unheil der soro anrichtet. Das ist ein Teufelsgetränk. Wenn Sie geheilt sind, fangen Sie mir nicht wieder an, ich werde Sie überwachen.« Seine Kehle brannte. Seine Luftröhre war mit Glut gefüllt. Das Wasser, das er getrunken hatte, war möglicherweise vergiftet. Es gab so viele Leute, die etwas gegen ihn hatten, denn er beharrte darauf, ein echter Bulle zu bleiben mit seiner elenden Wohnung, seinen abgetretenen Schuhen und seinem Nissan, der sich mit einem Vierteljahrhundert auf dem Buckel mühsam am Leben hielt. Der Durst nach der Bitterkeit des soro schnitt ihm durchs Fleisch. Einen Kick! Mehrere Kicks! Er kauerte sich zusammen, umschloss seinen skelettmageren Körper mit den Armen und stellte fest, dass er nackt war. Einen Schluck. Nur einen kleinen Schluck soro. Einen Tropfen! Einen einzigen. Ein Molekül. Ein Atom. »Sie müssen widerstehen. Sie tun's für Mireya. Sie hat nur Sie.« Er hätte sich die Stimme von Madame Excès aus dem Kopf reißen mögen. Die Tarantel kam erneut aus der Zimmerdecke hervor und schoss, von dämonischer Energie getrieben, ihr Netz entlang. Ihre Klauen bewegten sich vor und zurück wie die Fäuste eines Boxchampions. Er suchte frenetisch nach seiner Beretta. Immer schneller kam die Spinne von der Decke herunter. Sein Körper wog ern…


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