Müssen Ethiker moralisch sein?

Müssen Ethiker moralisch sein?

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593396132
Untertitel:
Essays über Philosophie und Lebensführung
Genre:
Philosophie-Lexika
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
1. Auflage
Anzahl Seiten:
327
Erscheinungsdatum:
10.11.2011
ISBN:
978-3-593-39613-2

Darf ein Umweltethiker einen Offroader fahren? Muss eine Medizinethikerin, die sich für die Organspende ausspricht, einen Organspendeausweis haben? Ethikerinnen und Ethiker beantworten solche Fragen zuweilen mit einer Anekdote des Philosophen Max Scheler, der, angesprochen auf den Widerspruch zwischen seinen moralischen Maßstäben und seinem ausufernden Lebensstil, gesagt haben soll: "Geht denn der Wegweiser in die Richtung, in die er zeigt?" Der Band spürt dem Selbstverständnis von Menschen nach, die sich beruflich mit ethischen Problemen befassen oder die eine bestimmte moralische Position vertreten, und stellt die Frage, ob für sie besondere moralische Maßstäbe gelten, oder ob eine solche Forderung weltfremd oder sogar wissenschaftsfeindlich ist. Zu den Beiträgern zählt der Philosoph Gernot Böhme.

"Die Aufsatzsammlung bietet durchweg ungemein anregende, schwungvoll geschriebene und thesenfreudige Essays, die eine Vielzahl von Perspektiven eröffnen. Eine Bereicherung in jeder Hinsicht!", Theologische Literaturzeitung, 01.10.2013 "Der Fokus auf die Person des Ethikers ist für die zeitgenössische Philosophie ungewöhnlich und macht den Essayband besonders lesenswert.", der blaue reiter, 07.01.2014

Autorentext
Christoph Ammann, Dr. theol., ist Oberassistent am Ethik-Zentrum der Universität Zürich, Barbara Bleisch, Dr. phil., ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin und Anna Goppel, Dr. phil. des., Oberassistentin.

Leseprobe
Zur Moral der Ethiker Einleitende Gedanken Christoph Ammann, Barbara Bleisch, Anna Goppel »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert;es kommt aber darauf an, sie zu verändern.« Karl Marx: 11. These über Feuerbach »Einige sagen, daß die Philosophie Literatur sei, andere, daß sie eine Wissenschaft sei, einige sagen, sie sei Ideologie, andere, daß es egal ist, was von alledem, wenn überhaupt, sie ist. Mir ist es nicht egal, weil es nicht egal ist, daß jede dieser Bezeichnungen umstritten ist.« Stanley Cavell: Die andere Stimme 1 Am Anfang dieses Buches stand ein Offroader vor dem Zürcher Ethik-Zentrum und eine Studierendenzeitung mit der Kolumne »Autogramm«, in der jeweils der Privatwagen eines Universitätsangehörigen abgebildet war und Mutmaßungen über den Charakter des Lenkers angestellt wurden. Die Auflösung des Rätsels erfolgte dann jeweils in der nächsten Nummer. Im Falle des besagten Offroaders fielen die Mutmaßungen ziemlich bissig aus: Ein solches »Monster von einem Geländewagen« zu fahren, zeuge von »Arroganz« und »Respektlosigkeit«. Die Tatsache, dass der Fahrer ein Ethiker war, verlieh dem Fall zusätzlich Brisanz. »Ausgerechnet ein Ethiker!«, dürften nicht wenige gedacht haben. Die Frage, was es mit diesem kleinen Wort ausgerechnet auf sich habe, bildete den Auftakt zu diesem Buch: Macht es tatsächlich einen Unterschied, dass der Lenker Ethiker und nicht Professor für Wirtschaftsrecht war? Diese Frage löste alsbald eine ganze Flut weiterer Fragen aus: Gelten für professionelle Ethikerinnen andere oder strengere moralische Maßstäbe? Oder geht es auch bei ihrer Lebensführung in erster Linie um Konsistenz von Theorie und eigenem Leben? Ist es ein Problem, Wasser zu predigen, aber privat lieber Wein zu trinken? Geht es überhaupt irgendjemanden etwas an, welches Auto eine Umweltethikerin fährt? Was macht Ethiker glaubwürdig, und ist Glaubwürdigkeit überhaupt eine relevante Kategorie für die Beurteilung von Ethikerinnen und deren Tätigkeit? Haben Ethiker eine besondere politische und gesellschaftliche Verantwortung? Oder gibt es vielmehr eine unauflösbare Spannung zwischen unparteilicher ethischer Analyse und dem konkreten politischen Engagement für eine bestimmte Sache? Damit waren wir bei Fragen angelangt, die mit dem Offroader und den möglichen privaten Lastern von Ethikern nicht mehr viel zu tun hatten. Vielmehr betrafen sie grundsätzliche Aspekte des Selbstverständnisses von Ethikerinnen: Was ist die Aufgabe eines Ethikers? Was macht eine gute Ethikerin aus? Ist Ethik eine Wissenschaft wie andere Wissenschaftsdisziplinen auch? Welchen moralischen Anforderungen müssen Ethiker in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit gerecht werden? Welche Rolle spielen persönliche Überzeugungen und Werthaltungen für das akademisch-ethische Nachdenken? Solchen Fragen haben sich die Autorinnen und Autoren in diesem Band gestellt. Ihre Antworten in essayistischer Form machen das Gros des vorliegenden Buches aus. Komplettiert wird es durch Interviews mit einer Philosophin und vier Philosophen, deren philosophische Positionierung zu diesen Fragen das Thema des eigenen Lebenswandels ins Spiel bringt, oder deren eigener Lebensplan neugierig macht, wie sie solche Fragen philosophisch beantworten. 2 Was den auf den ersten Blick recht disparaten Strauß von Fragen, die in diesem Band versammelt sind, eint, ist der Fokus auf die Person der Ethikerin und des Ethikers. Sei es bei den Fragen nach dem Privatleben der Ethikerin, sei es bei den Fragen nach der politischen Verantwortung oder dem beruflichen Selbstverständnis es steht im vorliegenden Band die Person des Ethikers auf eine Weise im Fokus, wie das für die ethische Fachliteratur eher ungewöhnlich ist. Diese ist in aller Regel mit Problemen befasst, bei der der Bezug des Schreibenden zu dem behandelten Problem kaum je explizit zum Thema wird. Dabei gilt dies keineswegs nur für metaethische Themen wie etwa die Fragen nach der Objektivität der Moral oder nach der Beschaffenheit von Handlungsgründen. Interessanterweise gilt dies ebenso für angewandt-ethische Problemstellungen: Geht etwa eine Ethikerin der Fragestellungen nach, ob es moralisch legitim sei, Fleisch zu essen, so wird sie in aller Regel weder mit den Beweggründen befasst sein, die sie dazu gebracht haben, sich gerade diesem Thema zuzuwenden, noch stellt ihr eigenes Leben einen besonderen Fokus ihrer Reflexion oder der fachethischen Diskussion dar. Die wissenschaftliche Diskussion dreht sich vielmehr und ausschließlich um die normative Bewertung des Phänomens. Hierfür scheint es offenbar irrelevant, ob die Ethikerin, die zum Schluss kommt, dass man vegetarisch leben sollte, jeden Tag ein Steak isst oder nicht. Allein auf die vertretenen Thesen komme es an, so die vorherrschende Meinung; und sind die Thesen plausibel begründet und gerechtfertigt, mag die Lebensweise der Ethikerin Anlass für hämische Bemerkungen oder allerhand Klatsch und Tratsch sein von genuin wissenschaftlichem Interesse ist sie nicht. Die Person der Forscherin in den Blick zu nehmen und sie etwa dafür zu kritisieren, dass sie ja selber gar nicht lebe, was sie vertrete, erschiene als unsachlich und käme gefährlich in die Nähe eines Angriffs ad hominem. Und solche Angriffe, die auf die Person zielen, und nicht nur auf das, was sie vertritt, gehören in der Wissenschaft nicht zum guten Ton, ja sie sind selber aus moralischen Gründen verpönt. Nicht umsonst gehört es zur Initiation in die Kunst wissenschaftlichen Argumentierens, Studierenden beizubringen, dass Argumente ad hominem zu unterlassen sind und sich die Kritik ausschließlich auf das Gesagte beziehen soll. Sieht man diese Zusammenhänge, so wird deutlicher, inwiefern der Fokus dieses Bands auf die Person des Ethikers ungewöhnlich ist zumindest für die neuzeitliche Philosophie. Dass in der Antike Philosophie und eigene Lebensführung viel enger verknüpft waren, ja dass Philosophieren eine bestimmte Lebensform war, wird immer wieder und zu Recht betont. Gerade die Analysen des französischen Philosophiehistorikers Pierre Hadot, auf die Markus Wild in seinem Beitrag in diesem Band Bezug nimmt, zeigen dies beispielhaft. Philosophieren, so Hadot, sei nach antikem Verständnis »eine Methode der Menschenformung, die auf eine neue Lebensweise und ein neues Weltverständnis abzielt« (Philosophie als Lebensform, Frankfurt a.M. 1991, 45), also ein wesentlich praktisches Unterfangen. Dabei geht es nicht nur um die Formung anderer, sondern auch und gerade um die F…


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