"Ich bin Jugoslawe - ich zerfalle also"

"Ich bin Jugoslawe - ich zerfalle also"

Format:
E-Book (pdf)
EAN:
9783828863316
Untertitel:
Chronotopoi der Angst - Kriegstraumata in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur
Genre:
Deutsche Sprachwissenschaft, Deutschsprachige Literaturwissenschaft
Autor:
Raffaella Mare
Herausgeber:
Tectum Wissenschaftsverlag
Anzahl Seiten:
398
Erscheinungsdatum:
30.11.2015
ISBN:
978-3-8288-6331-6

Welches Bild vom Krieg entsteht in den Köpfen von Kindern, die ihn miterlebt haben? Wie spiegelt sich der Irrsinn des Kriegs in verschwommenen Kindheitserinnerungen und wie formen diese wiederum die Orte, an denen wir leben? Welche Rolle spielt dabei das Gefühl der Angst in der literarischen Darstellung? Raffaella Mare betrachtet die Thematisierung des Angstgefühls in den Kriegsschilderungen von Sa?a Stani?i?, Maja Haderlap und Melinda Nadj Abonji. Ausgehend von Michail Bachtins Theorie des Chronotopos analysiert sie dabei räumliche und zeitliche Dimensionen der traumatischen Erzählungen. Ziel der Autorin ist es, damit das Motiv der Angst speziell in Bezug zum ehemaligen Jugoslawien in der Zeit nach dem Balkan-Krieg herauszuarbeiten. Sie zeigt, wie Angst die Wahrnehmung der vergangenen, kriegsgebeutelten Heimat ebenso beherrscht, wie sie in die Gegenwart des jeweiligen Aufenthaltsortes einsickert und darüber diese gegensätzlichen Orte miteinander verbindet. Mit Chronotopoi der Angst zeichnen die untersuchten Werke die blutigen Konturen des Krieges stilistisch nach. So äußert sich die Unfassbarkeit des Krieges in der Literatur auch dadurch, dass er ort- und zeitlos und zugleich allgegenwärtig ist.

Leseprobe
1. KAPITEL: Theoretische Konzepte

Der erste Teil des Kapitels (1.1) behandelt die Themen Exil, Migration und Fremde. Sie stellen nämlich einen Eckstein in den biographischen Erfahrungen und literarischen Verarbeitungen derjenigen Autorinnen und Autoren dar, die aus politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Gründen ihre Heimat haben verlassen müssen. In dieser Hinsicht versucht man, sich an den zahlreichen Begriffen zu orientieren, die seit eh und je die (nicht nur) deutsche Literatur kategorisiert haben. Viele Definitionen wurden tatsächlich benutzt, um das Phänomen jener deutschen Literatur zu bezeichnen, die von nicht-deutschen Autorinnen und Autoren geschrieben wird. Die meisten Definitionen (z. B. "Ausländerliteratur", "Literatur von außen", "Gastarbeiterliteratur" usw.) sind aber sehr umstritten und mehrdeutig, da sie auch wörtlich die Idee der fehlenden Integration, der Grenze, des "Anderen" gegen das "Eigene" oder sogar, wie im Fall der Gastarbeiterliteratur, das Konzept der gesellschaftlichen Marginalisierung enthalten.

Andere Definitionen haben allerdings versucht, der Problematik der fehlenden Integration und der Exklusion zu entgehen, wie "Literatur von innen", "Literatur in der Fremde", "Migrationsliteratur", die im Kontext der Literaturwissenschaft immer noch verwendet werden. Mithilfe der aktuellsten literaturwissenschaftlichen Theorien werden daher die Dynamiken der Integration und Kollision untersucht, sowie das dem Migrationserlebnis inhärente Fremdheitsgefühl. Instrument der Analyse wird demzufolge der neuere Begriff "Exophonie" sein. Wegen seiner eher neutralen Kennzeichnung setzt sich der Begriff im heutigen literarischen und literaturwissenschaftlichen Panorama durch: Er bezieht sich nämlich auf keine spezifische Sprachgruppe, verweist auf kein besonderes Thema und erlaubt eine komparatistische Studie ohne Exklusion anderer Migrationskontexte. Der Begriff "Exophonie" betrifft Autorinnen und Autoren, die ausgewandert sind oder weiter wandern und aus einem mehrsprachigen Kontext stammen. Sie werden zu transnationalen Botschaftern. Aber das Konzept trifft nicht für alle Autorinnen und Autoren gleichermaßen zu. Wie sollte man denn die von ihnen produzierten Literatur einordnen? Und sollte man sie überhaupt einordnen? Wäre es nicht leichter, sie ausschließlich als "deutsche" Autorinnen und Autoren, ohne weitere Klassifizierungen, zu bezeichnen? Diese Fragestellungen zeigen, dass die Problematik der Verwendung dieser Definitionen noch nicht gelöst ist.

Der zweite Teil dieses Kapitels (1.2) beschäftigt sich mit bestimmten Koordinaten, die unentbehrlich für die folgende Untersuchung sind. In den gewählten literarischen Werken treten nämlich Konzepte wie Gedächtnis, Erinnerung und Vergessen de facto als Grundlage sowohl für die Entwicklung der Handlung als auch für die Darstellung der Raum- und Zeitkonstellation auf und müssen deswegen berücksichtigt werden. Aufgrund der erheblichen Schwierigkeiten, das Gedächtnis, die Erinnerung und das Vergessen im engeren Sinne als literaturwissenschaftliche Begrifflichkeiten ohne weitere (z. B. psychologische und soziologische) Implikationen einzukreisen sowie eine ausführliche Bibliographie der wichtigsten Beiträge zum Thema zu liefern, konzentriert sich die vorliegende Arbeit nur auf einige bedeutenden Studien. Als Grundlage dienen die Überlegungen des französischen Philosophen Paul Ricoeur, der nicht nur das Gedächtnis und das Vergessen, sondern auch die Kategorie der Geschichte untersucht hat. In seinen Werken bezieht sich Ricoeur auf verschiedene philosophische Theorien, die für die vorliegende Arbeit sehr nützlich sind. Außerdem dient als Basis die Theorie des Philosophen und Soziologen Maurice Halbwachs über das kollektive Gedächtnis und über seine Korrelationen mit dem Individuellen, die die Voraussetzung der modernen Gedächtnisforschung darstellt. Als gemeinsamer Horizont der Kategorien von Gedächtnis, Verg


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