München

München

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783903184756
Untertitel:
Was nicht im Baedeker steht
Genre:
Reiseführer Deutschland
Autor:
Peter Scher, Hermann Sinsheimer
Herausgeber:
Milena Verlag
Anzahl Seiten:
160
Erscheinungsdatum:
30.10.2021
ISBN:
978-3-903184-75-6

Dieser originelle, feuilletonistische Reiseführer entführt uns in das München von 1928 und berichtet vom Valentin, vom Ringelnatz und anderen Raritäten, vom Umgang mit den Eingeborenen, von der beruhigenden Kellnerin, und bietet uns einzigartige Einblicke in die damalige Zeit.

Autorentext
Hermann Sinsheimer Geb. 1883 in Freinsheim, gestorben 1950 in London. Sinsheimer war als Theaterkritiker für die Neue Badische Landeszeitung tätig, war Leiter der Münchner Kammerspiele, anschließend schrieb er für die Münchner Neuesten Nachrichten und die satirische Zeitschrift Simplicissimus. Als das Schriftleitergesetz in Kraft trat, das jüdischen Redakteuren ihre Tätigkeit untersagte, schrieb er nur noch für jüdische Zeitungen in Berlin. 1938 fuhr er für zwei Monate nach Palästina. Am 6. Juni 1938 emigrierte er nach London.

Leseprobe
VOM UMGANG MIT DEN EINGEBORENEN Der eingeborene Münchner ist das konservativste Lebewesen auf diesem Planeten. Von Seelenhaltung wehmütig rückwärtsschauend, zuweilen auch mit Anlage zum Poltern und auf den Tisch hauen ausgestattet, ist er andrerseits einer unzweideutigen Lebensbejahung zugeneigt. Aus dieser zwiespältigen Situation eines sozusagen unwirschen Teilhabens am Geiste der Zeit entspringt jene Eigenart bajuwarischen Wesens, die mit diplomatischer Begabung erfasst sein will, wenn sie nicht zu einer Kette von Missverständnissen und zur Trübung eines erbaulichen Eindrucks führen soll. Dem süddeutschen Reisenden wird es natürlich immer wesentlich leichter fallen, das allem von außen Kommenden begegnende Misstrauen in der Seele des Eingeborenen zu überwinden. Besonders Norddeutsche und von diesen wiederum vor allem solche mit neu-amerikanischem Lebensrhythmus werden bei freundschaftlicher Annäherung Vorsicht walten lassen müssen. Man falle nicht dem Trugschluss zum Opfer, dass ein verstärktes Ankurbeln der bekannten liebenswürdig-saloppen Umgangsform zum erwünschten Ziel führen müsse im Gegenteil: Ein Milligramm zu viel davon, und das schon zum freundlichen Entgegenkommen aufgehellte Gesicht des Münchners versteinert sich zum grimmigen Ausdruck unerschütterlicher Abweisung. Auf der Trambahn versuche man in der Miene des Schaffners zu lesen, ob er im Allgemeinen zu Wohlwollen veranlagt oder von jenem kategorisch ablehnenden Charakter ist, der ein für alle Mal unversöhnlich zur Umwelt und insbesondere zu den von außen kommenden und daher immer störenden Elementen eingestellt ist. Im ersteren Falle riskiere man kaltblütig im eigenen Idiom etwa »Nationaltheater« zu verlangen. Es kann vorkommen, dass hierauf ohne Weiteres und vielleicht sogar mit duldsamer Willigkeit die Verabreichung des Fahrscheins erfolgt. Es kann aber auch sein, dass der Schaffner und solche erkennt man in der Regel am straff aufgebürsteten Schnauzbart alter Schule grimmig die sarkastische Korrektur »Hoftheater!« einfließen lässt wenn er nicht überhaupt unerbittlich zur Ordnung ruft: »Warum sag'n S' net glei' Hoftheater!« Für solche und ähnliche Fälle nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Verkehr empfiehlt es sich, von Zeit zu Zeit bodenständige Apostrophierungen wie: »Geh, san S' so guat, Herr Nachbar!« oder: »Ah da schau her!« oder: »Ja was waar denn jetz' dees!« hören zu lassen. Natürlich müssen derartige beschwichtigende Ausrufe in Tempo und Haltung dem Milieu angepasst und in der Aussprache überzeugend sein; auch dürfen sie um Gottes willen nicht die Gefahrenzone des sogenannten »Derbleckens« streifen, das der eingeborene Münchner als sein intimstes Reservatrecht von Fremden unangetastet zu wissen wünscht. »Derblecken« was nichts mit derb lecken zu tun hat ein Wort, dessen rätselhafter Inhalt schon manchem Fremden Kopfzerbrechen verursachte, bedeutet jene ganz spezifisch münchnerische Übung, die man mit dem ausländischen Wort »frotzeln« nur unvollkommen erklären würde. In der neuesten Zeit und unter der nachwachsenden Jugend die sich infolge Sports und des damit rapid um sich greifenden Antialkoholismus überhaupt mehr und mehr vom guten Alten entfernt ist ja die Übung des Derbleckens etwas in Verfall geraten. Aber wer die eigentliche und ursprüngliche Münchner Art ernsthaft studieren will, muss, wenn nicht selbst einmal gründlich derbleckt worden, so doch zum mindesten Zeuge gewesen sein, wie dieser Brauch von den Eingeborenen zur Erhöhung der Geselligkeit aneinander ausgeübt wird.


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